DER VOGEL AUS DER ASCHE
Ein Geburtstagskind wird gefeiert und das Trio Infernale begibt sich auf die Suche nach der urbanen amerikanischen Zeitgeschichte. Auf gehts nach Phoenix, Downtown.
Mittwoch, 10. März: Gestern war Flos Geburtstag. Ganz gemütlich begannen wir diesen Tag mit einem Frühstück an unserem Stammplatz vorm Pool. Zunächst ging es ans auspacken der Geschenke. Hauptpräsent war eine schicke neue Fotokamera, dazu eine passende Speicherkarte, ein Parfum, Stifte für die Flugroutenplanung und ein "Freistaat Bayern" Badetuch, in den entsprechend traditionellen weißblauen Farben. Genial.
Flo hat sich sehr gefreut, nicht nur der Geschenke wegen, sondern auch, dass er diesen einen, besonderen Tag fern ab der Heimat nicht alleine verbringen musste und jemanden hatte, mit dem er ein kleines, wenngleich improvisiertes Geburtstagsfest feiern konnte. So frühstückten wir in aller ruhe und machten uns allmählich auf den Weg in die Downtown von Phoenix, um uns ein wenig das zentral urbane amerikanische Leben anzusehen.
An dieser Stelle - jetzt vielleicht etwas unpassend - muss ich etwas revidieren. Im letzen Eintrag schrieb ich gen Ende, dass das Grundwasser hier massiv ausgebeutet wird. Nun, das stimmt nicht. Sebastian hat sich schlau gemacht und raus kam, dass ein Gros des Wasser, das hier in Mengen fließt, vom Salt River kommt. Angestaut durch den im Jahre 1911 errichteten "Roosevelt Dam" fungiert dieses Reservoir als Trinkwasservorrat und dient als künstliche Bewässerungsquelle. Darüber hinaus wurde 1991 das Central Arizona Project abgeschlossen - ein Aquäduktsystem, das Phoenix und Umgebung mit zusätzlichen Wasservorräten versorgt. Asche auf mein Haupt für dieses Malheur.
Überhaupt - Asche ist eine gute Überleitung. Der Phönix ist ja bekanntlich der Vogel, der sich nach der griechischen Mythologie zufolge im hohen Alter selbst verbrennt, um dann verjüngt aus seiner Asche wieder hervor zu gehen.
Dieser Name für die am Rande der Sonora Desert gelegene Metropole ist sinnbildlich: Phoenix ist eine der am schnellsten wachsenden Großstadtregionen der USA. Es erfindet sich sozusagen jedes Jahr neu und die Stadt verändert sich pausenlos, was man an der Anordnung der einzelnen Viertel und der ausufernden Vororte erkennen kann. Bis auf den Stadtkern wirkt alles ein wenig planlos in die Landschaft gestellt, was verständlich wird, wenn man sich den Zeitraum betrachtet, in dem diese Stadt förmlich aus dem Wüstenboden geschossen ist.
Nachdem die letzten Hohokam-Indianer, die ab dem 4. Jh. die Region bereits bewirtschafteten aus unbekannten Gründen im 15. Jh. die Ebene wieder verließen, passierte eine Zeit lang erst mal gar nichts. Ab dem 16. Jh. errichteten dann spanische Konquistadoren die ersten Forts und gründeten Siedlungen im ganzen Land. 1867 wurden hier Kanäle zur Bewässerung des Farmlandes frei geschaufelt und nach 1870 gings richtig los, als die Region durch Silberfunde für ein Jahrzehnt zum Wilden Westen geriet. Heute zählt alleine das Zentrum von Phoenix 1,3 Millionen Menschen - auf den ersten Blick vielleicht nicht viel. Allerdings ist diese Rechnung ohne die großflächigen Vororte.
So, das war jetzt historische Zeitgeschichte im Schnelldurchlauf. Und schon sind wir beim springenden Punkt angelangt: Zeitgeschichte. Dazu nun ein ehrliches Wort.
Wir Kinder aus Europa sind schon recht verwöhnt, was das erleben kultureller Zeitgeschichte betrifft. Bei uns gibt es Paläste, Schlösser, Tempel und Ruinen; Karl, Alexander, Ludwig und Heinrich der was-weiß-ich-wievielte; Sagen, Mythen und Geschichten, mehr als tausend Jahre alt.
Nun - Zeitgeschichte gibt es hier auch, nur ist sie halt ein klein wenig "kurzfristiger". 1899 - das ist hier historisch. Versteht mich nicht falsch, ich möchte die hiesigen Traditionen nicht ins lächerliche ziehen. Jede Kultur hat ihre Geschichte und sei sie auch noch so jung. Aber das, was in Amerika unter "Geschichte" verkauft wird, ist ein Hohn und stellenweise recht armselig. Denn die Kultur der eigentlich urtümlichen Völker, die dieses Land einst besiedelten - die Indianer - wurde größtenteils platt gemacht und ihre Anlagen zubetoniert.
Die Stadt wächst rapide und das einzige, was aus der Gründerzeit übrig blieb, findet man auf dem Heritage Square, dem historischen Viertel von Phoenix. Hier stehen noch ein paar der ursprünglichen Gebäude der ersten Siedler. Oder anders: Drei, vier Backstein-Hütten und ein Haus, in dem Mama Bates aus "Psycho" wohnen könnte. Das wars.
Phoenix selbst ist recht banal. Ein Hochhaus ist ein Hochhaus ist ein Hochhaus. Und das bleibt es auch, egal wie funkelnd die polierten Glasfassaden in der Sonne strahlen und egal wie eigenartig die Konstruktion ist. Der Wind, der durch die Straßenschluchten und Asphaltwüsten bläst, ist heiß und stickig. Über der Stadt und der gesamten Region hängt oft eine dicke grau-braune Glocke - Smog. Bei dem, was hier an Abgasen in die Luft geblasen wird, ist das auch kein Wunder. Mittlerweile habe ich aufgehört darüber nachzudenken, dass in jeder amerikanischen Großstadt ein vergleichbarer Schadstoff-Ausstoß vorherrscht. Scheisse - und ich fahre zuhause einen sparsamen, umweltfreundlichen Lupo. Meine Damen, meine Herren: Das wird ein ungemein kurzes Vergnügen auf diesem Planeten.
Und vieles aus diesem Land wirkt auf mich bekannt. Reise ich z.B. nach Ägypten, kenne ich weder Land, noch Leute, noch Kultur. Alles ist fremdartig und anders. Mit der amerikanischen Kultur wächst man jedoch seit seinen Kindertagen auf. "Die Straßen von San Francisco", "Ein Colt für alle Fälle", "Knight Rider", "Dallas" - man kommt in dieses Land und sieht eigentlich nichts mehr wirklich neues. Nichts, was man nicht schon vorher irgendwo mal gesehen hat.
Okay - alles in allem hört sich das jetzt nicht sonderlich glorifizierend an aber Phoenix und die gesamte Region bietet auch eine sehr faszinierende, andere Seite: die Natur. Diese ist hier wirklich stellenweise atemberaubend, sofern sie nicht - wie die Indianer zuvor schon auch - platt gemacht wurde.
Man steckt diese Nation schnell in eine Schublade. Aber manchmal - und das finde ich sehr faszinierend - unterschätzt man die Amerikaner maßlos.
Als wir so durch Phoenix schlenderten, Caterina & Flo sich in einem Tourismusbüro mit Unterlagen versorgten und ich vor der Türe wartete, beobachtete ich ein Gespräch zwischen einer Pennerin auf einer Parkbank und einem in kakifarbener Uniform gekleideten Beamten der City Patrol, so einer Art "Nachbarschaftswache".
Dieser Beamte unterhielt sich mit der recht zerlumpten Frau über ihre Bleibe in dieser Woche, wie es um ihre Gesundheit stehe und ob sie über die Runden komme. Scheinbar kannten sich die zwei bereits, denn das Gespräch war recht freundschaftlich. Nach rund zehn Minuten verabschiedete er sich und drehte weiter seine Runden zu Fuß um den Block.
Ein wenig später auf dem Weg zur Phoenix Symphony Hall sprach auch uns ein Mitarbeiter der City Patrol an - ob es uns gut gehe und ob alles in Ordnung sei. Vielleicht sahen wir in unserem verschwitzten Zustand wirklich hilfsbedürftig aus. Aber das ist doch mal eine vernünftige Einrichtung. Menschen, die um die Häuserzeilen patrouillieren, nicht dieses erniedrigende Getue eines Officers an den Tag legen, sondern einfach nur kucken, ob alles im Lot ist, ob du Probleme hast und ob sie dir helfen können. Und das ist hier auch wirklich sinnvoll, denn sozial schlechter gestellte Menschen, die auf der Straße leben gibt es hier viele.
Noch etwas interessantes zu den Straßen und Highways: Straßen in der Stadt sind drei-, Highways in der Regel sechsspurig - und das pro Richtung. Etwas tolles auf den Highways ist die linke Spur. Diese darf man nämlich an Arbeitstagen zu Zeiten des Berufsverkehrs nur benutzen, wenn sich mindestens zwei Personen im Fahrzeug befinden. Was sich zunächst recht gaga anhört, macht allerdings Sinn. Da sich in Amerika generell pro Fahrzeug eine Person befindet, werden diejenigen belohnt, die in einem Fahrzeug mehrere Leute transportieren und somit das Verkehrsaufkommen senken. Schon verrückt, die Amis.