Kollektiver Freudentaumel

Gerade vom Nachtlauf nach Hause gekommen. Bewusst während des Spiels Deutschland – Türkei Laufen gegangen, ich pack sowas nervlich nicht. Drum Schuhe an und los, als die Spieler gerade in die Halbzeitpause gingen. Ein paar Runden durch den Park gedreht, es war einsam, schön. Kein Mensch auf den Straßen, keine Autos, kühl. Nur von der Ferne wogten hin und wieder Freudenschreie durch das Parkdunkel heran. Auf dem Weg raus aus der Anlage an einer Kneipe vorbeigelaufen, draussen Fernseher, zehn Leute drumherum, da stand es 2:1 für Deutschland. Zurück durch die Stadt, anderen Weg genommen, suchte Hauptverkehrsadern, um auf dem Laufenden zu bleiben. Dann über eine breite, zweispurige Straße gelaufen, bis zum Horizont kein Auto, nichts. Da setzte ein Schreien ein, ein Gebrüll, zunächst noch einzelne Stimmen in der Nähe zu hören, dann hob ein Getöse an, das hoch bis über die Spitzen der Wohnblöcke anschwoll und über die ganze Stadt rollte. Ein aussergewöhnlicher Moment, ich stand mitten auf der Kreuzung der breiten Straße, bliebt stehen, stoppte meine Uhr, drehte mich im Kreis und musste lachen. Aus allen Richtungen war es zu hören, eine Welle, die über meinen Kopf schwappte. Man bekommt ein eigenartiges Bewusstsein von der Gesellschaft, wenn man in Augenblicken des kollektiven Freudentaumels mal nicht mitten drin steht, sondern am Rande, eine von aussen nach innen gerichtet Perspektive auf die Ekstase einnimmt. Wahnsinn.
Dann Blick auf die Uhr: passend zur letzten Minute durch Wohnsiedlung gelaufen, die Extrarunde war geplant, „Noch eine Minute, noch eine Minute!“ plärrte es aus einem Fenster. Von allen Häuserwänden rauschte Stadiongebrüll. Dann war es vorbei. Abpfiff. Und Sirenen heulten los, Kracher und Hupen und Schreie. Alles brodelte, als ich glücklich und verschwitzt die Wohnungstüre öffnete. Verrückte Nacht.

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