Jetzt bin ich aber mal irritiert. Und zwar so richtig irritiert! Also nicht nur mäßig bis mittelschwer, sondern ganz schön ordentlich irritiert, was zugegebener Maßen nicht allzu häufig geschieht. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen des Vorabendprogrammbashings, ihr müsst jetzt alle bitte ganz stark sein, denn hier kommt die erschreckende Wahrheit am Sonntag, unzensiert und in voller Länge:
Wir leben in einer Welt, die bereits passiert ist!
Alles, was ihr jetzt gerade riecht oder schmeckt, seht oder hört – Zune Paint Video auf Vimeo oder den 9/8 Takt aus Dave Brubecks „Blue Rondo a la Turk“, erklärt von ui: Bis der Regen der Sinneseindrücke, der da alltäglich auf diesen Filz verdichteter Nervenfaser und interneuronaler Synapsen am oberen Ende eures Rückenmarks (kurz: Gehirn) prasselt, sich dort zu einem Destillat des Bewussten verdichtet, damit schlussendlich, wenn alles gut läuft vielleicht ein „Aha!“ aus eurer Kehle gluckst, vergehen – bitte festhalten – 4 Nanosekunden.
Oder anders: Es besteht zwischen der Erstreizung sensorischer Afferenzen und der eigentlichen Bewusstwerdung ein Latenzpotential von 4 Nanosekunden. „Aber ansonsten alles tutti?“, fragen sich die einen, während die anderen sich wundern, welches Kraut dieser Verunsicherungsprophet hier geraucht hat, der so artistisch mit vulgärbiologischen Fachausdrücken herumwirft.
Konkret heißt das, dass zwischen der ersten visuellen Reizung der Lichtsinneszellen der Netzhaut z.B. bei dem Szenario „Huch! Da kommt ja 15 Tonner in der Fußgängerzone mit bemerkenswert überhöhter Geschwindigkeit auf mich zugerauscht!“ und dem eigentlichen Bewusstwerden dieses Impulses in der Denkfurche 4 tausendstel Sekunden vergehen. Grübelt man dann noch ein paar Sekunden länger nach, z.B. über die Bedeutung und Neubewertung verkehrsberuhigter Zonen in der postmodernen Gesellschaft, dürfte der Rest des Tages nicht mehr ganz so glorreich werden. Sensorische Verzögerung der Sinneseindrücke heißt das, wurde nicht von den Wachowski-Brüdern erfunden und gilt für alle Sinnesorgane. Die Welt, wie wir sie wahrnehmen ist also schon seit 4 Nanosekunden nicht mehr so, wie sie eigentlich in dem Augenblick des Bewusstwerdens darüber ist. Wer jetzt mit diversen Gehirnverknotungen zu kämpfen hat, kann sich das folgendermaßen vorstellen. Das Licht der Sonne zeigt uns eigentlich ein Bild, wie sie vor 8 Minuten war. So lange ist das Licht bis zu uns unterwegs. Oder das Licht eines fernen Sterns, dessen Zustand wir jetzt so sehen, wie er vor ein paar Milliarden Jahren war. Im Prinzip ist das mit der sensorischen Verzögerung nicht viel anders. Wer mit dieser Vorstellung noch Schwierigkeiten hat, der kann sich ein aktuelles Bild von Dolly Parton ansehen, das uns zeigt, wie sie vor 20 Jahren aussah. Und wahrscheinlich auch in 20 Jahren aussehen wird, Silikon-Tuning hooray!
Gut, jetzt bin ich vielleicht etwas kleinlich. Eine um 4 Nanosekunden verzögerte Welt ist an sich nicht so dramatisch. Aber trotzdem bin ich erstaunt, dass wir in einer Welt handeln, die es so eigentlich schon gar nicht mehr gibt. Und dass wir immer noch FDP wählen.
„So, und was bedeutet das jetzt konkret für mich? Für mein Mittleid erregendes, kleines Leben? Die Bundestagswahl 2009? Das Ozonloch? Und für das schwedische Performance-Theater?“, werdet ihr fragen. Und ihr fragt zu Recht, denn die Antwort ist: Nichts. Es bedeutet überhaupt nichts.
Es war wieder einmal nur der krude, wie schon so oft gescheiterte Versuch, euch ein paar Links, hübsch drapiert mit belangloser Nebensächlichkeit unter die Nase zu reiben. Ist mir mal wieder nicht gelungen? Egal, hat ja eh niemand erwartet.
Wenn ich mich konzentriere merk‘ ich gerade jetzt beim Schreiben eine leichte Zeitverzögerung 😉
Nun werd ich mal den schön verpackten Links folgen.
Wir leben in einer Welt, die bereits passiert ist! Der Satz gefällt mir. Vielleicht, weil er irgendwie was Beruhigendes hat, zumindest empfindet das mein übermüdetes Hirn gerade so. Überlege, was Nanosekunden für eine Eintagsfliege bedeuten. Und ob es auch Einsekundenfliegen gibt und was die dann… Nun ja. Übermüdet, wie gesagt. Aber angetan… 🙂
Hier noch ein interessante Link zum Thema:
http://www.gizmodo.de/2009/08/07/uns-fehlen-15-minuten-vom-film-durch-blinzeln.html
Wenn man nun die 4 Nanosekunden und die 15 fehlenden Minuten pro Film addiert, dann hab‘ ich bis jetzt schon ganz schön viel von meinen Leben verpasst.
Gibt’s was gegen’s blinzeln?
Tesafilm vielleicht? 🙂
Interessante Studie, danke für den Link. Vor allem das Synchron-Zwinkern.
Sollte ich das nächste mal dann einen besonders langweiligen Film kucken und dabei einschlafen, kann ich immer noch behaupten: „Ich schlafe nicht, ich blinzle nur extrem lange.“