Ich bin mir nicht sicher, was die Bedeutung des Wortes „Berufung“ angeht. Ich bin da sehr skeptisch, nicht aus purer Lust am Zweifel; ich glaube schlichtweg nicht an die Vorstellung des Aussen bezüglich einer dinglichen Wahrnehmungswelt. (Jemand hat einmal von mir behauptet, ich sei ein Anarchist mit konstruktivistischen Tendenzen. Das konnte ich jedoch nie bestätigen und halte es bis heute für hohles Gejammere.)
Der Berufung liegt die Idee zugrunde, dass dort aussen jemand ist, der einen auffordert, der einen ruft, der eine Position zuweist; ein Anweiser. Der Berufene sieht sich so mit seinem Handeln auf den Weg gebracht, gleich ob göttlichen oder dämonischen oder wie auch immer gearteten Ursprungs. Wie bei dem Wort „Erziehung“ – im Deutschen sinnbildlich – die äusserliche Einflussnahme einer Macht entscheidend ist. Man wird erzogen, von Aussen in eine Richtung gezogen. Ganz im Gegensatz zu dem Begriff der „Bildung“, die einen Prozess markiert, der höchstens von aussen angestoßen wird, der aber aus dem Inneren heraus dann von selbst abläuft, ein feiner Unterschied.
Egal wie man es dreht, ich glaube nicht an das Aussen. Die Welt wie wir sie wahrnehmen ist nur ein perzeptiver Nachhall, alle Ideen über diese Aussenwelt können nur über Wahrnehmungstheorien erklärt werden. Am Anfang der Aussenweltkontakte steht die Empfindung, das heißt zum Beispiel, die Netzhaut des Auges wird durch einen Lichteindruck gereizt. Diese Netzhautreizung ist jedoch nicht der Gegenstand selbst, sondern nur dessen Widerspiegelung, die das Auge vermittelt. Erst wenn das Auge die Widerspiegelung aufgenommen hat und empfindet, kann ich nun auch wahrnehmen, daß ich etwas sehe und was ich sehe. Ich kann feststellen: Dieser Gegenstand ist grün oder rot, es ist ein Baum oder Haus. (Die Etikettierung kann natürlich nur mit einem Vorwissen erfolgen. Grün ist dann nur grün, wenn ich diesen Terminus gelernt habe. Erst wenn wir uns auf eine Formel verständigen bekommt der Ausdruck eine allgemeine Gültigkeit, aber das ist ein anderes Feld.)
Erst jetzt kann ich sagen: Ich möchte diesen Gegenstand besitzen, den ich da sehe. In diesem Fall ist aus der bloßen Wahrnehmung eine Vorstellung, ein Wunsch geworden. Ich kann jetzt entscheiden, ob ich mich dem Gegenstand nähern oder mich von ihm entfernen will. Derartige Triebkräfte und Wünsche aber führen zum Handeln und Reagieren: Man möchte das aufgrund der Empfindung Wahrgenommene und Vorgestellte nun auch tun. Das alles geschieht noch bevor das Bewusstsein eingeschaltet ist. Begierden, Triebe, Wünsche, kurz alle Handlungsansätze entstehen also im Unbewussten oder Vorbewussten. Und das ist dem Menschen also innewohnend. Die Berufung ist nur eine schizophrene Rechtfertigungsverlagerung für ein selbstgerechtes Handeln in eine spekulativen Aussenwelt und mich verärgert die Anmaßung gewisser Menschen, die meinen, sie und nur sie allein kennten, dank ihres Einvernehmens mit Göttern, Meistern oder Demiurgen, die großen Geheimnisse, das Fundament der Welt.
Sebastions Wortorgien.
Also, wenn man das Wort Berufung so wortwörtlich liest, dass es ein von außen oder (Gott) oben kommender Ruf ist, der einen zu etwas bestimmt oder anhält, dann kann man drüber streiten. Aber wenn man es einfach aus den Fähigkeiten und dem Charakter des Menschen ableitet ergibt es mehr Sinn. Boris Becker wurde zwar nicht unbedingt von Gott dazu berufen Tennisspieler zu werden, aber seine Fähigkeiten waren eben so angelegt, dass er qua Anlage dazu berufen war sich in einer bestimmten Tätigkeit auszudrücken, das hätte auch ein anderer Sport sein können, aber der Ruf ging in eine bestimmte Richtung. Sandor Marai sagt: Unser Charakater ist unser Schicksal. Das ist zwar nicht dasselbe wie Berufung, geht aber in die gleiche Richtung.
Da ist was wahres dran, man sollte unterscheiden. Wortwörtlich betrachtet sehe ich es so, bezogen auf den Charakter und die Fähigkeiten eines Menschen ist Berufung ein inneres Prinzip, und dann ist ja alles wieder tutti.