Im Barcelona Center of Supercomputing steht er: MareNostrum, unser Meer. Ein Hochleistungsrechner, in dessen Verbund 10240 Prozessoren werkeln. Mit 94 Billionen Rechenschritten pro Sekunden denkt das Cluster über komplexe Probleme und deren Lösungen nach: Über das Wetter, Proteinstrukturen, Thermodynamik. Tagein, tagaus. Diese Leistung hält ihn zwar schon lange nicht mehr an der Spitze der schnellsten Supercomputer, dennoch bleibt er einzigartig. MareNostrum ist bis jetzt der einzige Supercomputer, der in einer Kapelle errichtet wurde.
Der Drang nach immer schärferen, entlarvenderen Blicken auf die Fundamente des Mikro- und Makrokosmos erschließt nun die letzten heiligen Räume. Auf der Suche nach Gott kehren wir in sein Haus zurück. Im Gepäck: Glasfaserkabel und Serverracks.
Supercomputer und Hochgeschwindigkeitsnetzwerke in einer Kapelle, einem Orten der Kontemplation, sind beispielhafte Zeichen für die Wandlung der Wissenschaft zur (Ersatz)religion. Die Sinnsuche ist beiden Disziplinen immanent. Steckt Gott in all den Dingen, von denen wir nicht den blassesten Schimmer haben, so ist hier der grundlegendste Unterschied: Religion versucht eine Annäherung an Gott zu schaffen, versucht einen Bereich in unserer Vorstellung für ihn zu reservieren. Supercomputing macht das genaue Gegenteil, es vertreibt Gott zusehends aus unserer Vorstellung, setzt an seine Stelle fundierte Formeln, die erklären sollen, was die Welt im innersten zusammenhält.
Der ungebundene Glaube an Teraflops als Ersatzreligion darf aber auch nicht überbewertet werden. Denkt BlueGene/L über die Faltung von Proteinen nach oder simuliert er eine nukleare Explosion, so kann das den Durchschnitts-Christen mit seiner Bibel und Hiob und Jesaja und Ezechiel und Jeremia und die vielen anderen herzlich unbeeindruckt lassen. Denn egal, welche Weisheiten und Wegweiser die Supercluster ausspucken: Am Ende klopfen wir alle an die selben Pforten.