Es ist manchmal eigenartig, wie eindringlich Informationen, die einem scheinbar ungewollt zufließen mit aller Macht auf einen gravierenden Missstand aufmerksam machen können. Zunächst ganz dezent, sublim und nur tröpfchenweise; in ihrer Gesamtheit sind sie dann allerdings so erdrückend, dass ein Rückfall in den Scheuklappenmodus unmöglich ist. Und man fragt sich, wie konnte man nur so lange taub gewesen sein auf dem Ohr? Etwas ist in mir in Bewegung geraten und ich bin von seiner Richtigkeit so überzeugt, dass ich es weitergeben muss. Darum ein kleiner Post, ein Weckruf.
Auf einmal waren da diese Links: ein Video, ein Interview, ein Blogbeitrag, ein Artikel und eine Fotostrecke. Allen zugrunde liegt das Thema „Verwurstung“, der gedankenlose Fleischkonsum und die industrielle Verwertung von Tieren. Die Ausgabe Nr. 33 der ZEIT behandelte das Thema im Leitartikel. Basis war ein sehr lesenswertes Interview mit dem Schriftsteller und jetzt Teilzeitvegetarier Jonathan Safran Foer, das meiner Meinung nach einen sehr nüchternen und menschlichen Standpunkt auf dieses Thema darlegt. Hier ein kurzer Auszug:
„Wir sollten nicht Vorwürfe machen, sondern Alternativen aufzeigen. Ein Freund von mir hat gesagt, ich würde ja gern mit dem Fleischessen aufhören, aber wenn meine Großmutter mich einlädt, gibt es immer Roastbeef, das esse ich so gern. Ich hab ihm gesagt: Dann iss das Roastbeef! Aber iss kein Fleisch mehr in Restaurants oder bei McDonald’s. Darauf antworten manche: Aber das ist doch scheinheilig. – Okay, dann sei eben scheinheilig! Das Ziel ist ja nicht, ethisch rein zu sein, sondern die Welt besser zu machen.“
Leider finde ich in diesen Tagen nur wenig Zeit und so kann ich dieses Thema nicht in dem Umfang bearbeiten, der mir lieb wäre. Der damalige ZEIT-Artikel, in Kombination mit den anderen Informationen trat jedoch etwas in mir los, was schon länger brüchig war. Bis jetzt entzog ich mich dieser „Fleischdebatte“, ich war mir zwar immer bewusst, was ich da auf dem Teller hatte. Welche Prozedur und welches Leid das Tier jedoch über sich ergehen lassen musste, bevor es mir zur Mahlzeit wurde, dieser Vorstellung verschloss ich mich, so gut es ging.
Diese Debatte berührt mich sehr. Ich erinnere mich noch an meine missbilligenden Blicke, die ich stets für die „Körnerfresser“ übrig hatte. Ich verstand sie nicht, ahnte zwar immer eine ethische Richtigkeit hinter ihrem Handeln und verdrängte meine eigenen Gewissenskonflikte so gut es ging. Doch jetzt verstehe ich. Wenn der Mensch ein Tier ist, dann ist das Tier auch ein Stück weit Mensch. Über 90 Prozent des weltweiten Fleischbedarfs wird aus Massentierhaltung bezogen und wir fügen damit unseren allernächsten Verwandten auf diesem Planeten ungeheures Leid zu. Fleisch ist ein Luxusgut, wenn man bedenkt, dass für ein Kilo Steak etwa zehn Kilo Getreide verfüttert wird. Getreide, dass andernorts fehlt. Darum möchte ich Fleisch vermeiden und komplett auf tierische Nebenprodukte verzichten. Ich will nicht, dass ein Tier wegen mir sterben muss. Und wenn es schon geschlachtet werden muss, dann soll es wenigstens ein artgerechtes Leben gehabt haben. Darum kein Fleisch aus Massentierhaltung.
Eine Zahl in dieser Debatte hat mich besonders beeindruckt. Würden alle Amerikaner nur einmal in der Woche auf Fleisch verzichten, würden pro Woche 220 Millionen Tiere weniger sterben. Was unseren Fleischkonsum ausserdem hochhält ist die Tatsache, dass es zwischen dem fertigen Produkt und dem lebendigem Tier, das als Ausgangsstoff dient, keine Verbindung mehr gibt. Die Wurst im Regal ist steril, unter Schutzatmosphäre verpackt, kein Blut, wenig Fett, überdeckt mit einem Pfeffermantel. Der Herstellungs- und damit Tötungsprozess ist abstrakt. Wenn jeder das Tier, dessen Fleisch er essen möchte selbst töten müsste, der Fleischkonsum ginge rapide bergab.
Dabei entwickeln die meisten Menschen ein kurioses ambivalentes Verhältnis gegenüber Tieren. Auf der einen Seite hegen und pflegen sie selbst Haustiere, verwöhnen sie mit Zahnpflegeprodukten, Decken und Pullovern, sparen an keiner noch so teuren lebensverlängernden tierärztlichen Behandlung und kämen niemals auch nur im Traum auf den Gedanken, Miezi eines Tages aufzuessen. Auf der anderen Seite verfüttern sie ihren Haustigern feinste Gourmet-Schweineleberpastete und verzehren selbst tierische Produkte. Über deren qualvollen Leidensweg zucken sie nur mit den Schultern oder ignorieren es geflissentlich. So ist halt das Leben. Die einen liegen auf dem Sofa und werden gekrault. Und die anderen werden kopfüber an den Beinen aufgehängt und mehroderwenigertot mit der Säge zerteilt. In diesem Weltbild ist etwas in Schieflage geraten.
Fängt man erst einmal an, bewusst darauf zu achten, in welchen Produkten überall Tier drinsteckt, merkt man schnell, in was für einer Misere man steckt. Die überwiegende Mehrheit der industriell gefertigten Produkte kommt kaum noch ohne Tier oder tierische Zusatzstoffe aus. Wenn man Glück hat, ist deren Verwendung auf der Packung angegeben. Das ist aber nicht immer der Fall. Geliermittel zum Beispiel muss, wenn es direkt im Verarbeitungsprozess verwendet werden, nicht deklariert werden. Erst über die Anfragen beim Hersteller erfährt man dann, was wirklich drinsteckt.
Ich werde weder zu einem Veganer-Extremisten noch zu einem Gutmenschen, der alle von der Richtigkeit seines Handelns überzeugen MUSS, denn dafür esse ich selbst einfach zu gerne Fleisch. Seit ein paar Wochen jedoch schaffe ich es fast vollständig darauf zu verzichten und das macht mich natürlich auch ein klein wenig stolz, alleine schon der Süßigkeiten wegen, in denen Gelatine steckt. In einer Welt, in der das Überangebot regiert, übe ich Enthaltsamkeit. Ich verzichte bewusst, nicht aus schlechtem Gewissen, sondern aus Überzeugung. Ich will nur Denkanstöße geben. Und es wäre ja schon ein Anfang, wenn ihr das nächste mal, wenn ihr in einen Whopper beißt oder eine Tüte Haribo aufreisst nur ein paar Minuten darüber sinniert, welches Leben das Tier wohl hatte, das euch nun als Nahrung dient.
Mit ziemlicher Sicherheit ein beschissenes, kurzes Leben.
Wow, wow, wow… wie gut in Worte gepackt. Ich danke Dir!