Die Hosen voll, die Köpfe leer. Ein Gespenst geht um im bundesdeutschen November: Angst. Konkreter, die Angst vor einem Anschlag. Es ist eine vorauseilende Angst, Präventiv-Paranoia, medieninduziert und von Unsicherheitsexperten geschürt. Mehr Argumentationsfutter, um Attrappen zu untermauern. Der Bin-Laden Kasper wird wieder aus der Mottenkiste geholt. Dabei ist Al Kaida längst zu einer Idee geworden, die unkontrollierbar weiterwuchert. Unabhängig davon, wie viele Brunnen wir in Afghanistan bauen.
Sie sagen: Es ist wieder der Versuch, Überwachungsapparate zu stärken und den Bürger zu entmündigen; im Augenblick lethargischer Schockstarre noch menschenunwürdigere Gesetze durchzudrücken, weil der Politik eben nichts mehr anderes einfällt als Entmündigung und Überwachung. Ganz ehrlich, soviel Ganzkörperscan war nie! Ich sehe eigenartige Aufmunterungsfloskeln durch die Medien kursieren, von einer „heroischen Gelassenheit“ ist da die Rede, während die Bundesregierung von konkreter Gefahr spricht und allen Grund zur Sorge verordnet, aber keinen Grund zur Hysterie. Wann und wie sollte das bitteschön auch passieren? „Liebe Mitbürgerinnen, liebe Mitbürger. Bitte haben Sie JETZT allen Grund zur Hysterie.“ Und ich bin so müd von dieser ganzen Debatte. Es ist wie immer das gleiche Spiel. Es ist der alte Affe: Angst, die sich in den Köpfen festsetzt und dort Metastasen treibt; die einen umklammert und die Kehle zuschnüren kann wie Kälte in diesen Tagen.
Vor dem Münchner Hauptbahnhof ist die Sache kompliziert, da steht schwer bewaffnetes Unsicherheitspersonal. Maschinengewehr im Anschlag, 24/7 Reaktionsbereitschaft, alles für den Ernstfall geprobt, ein Routineprogramm im Kopf gegen die Katastrophe. Prüfende Blicke sezieren. Permanente Ganzkörperscans. Maschinengewehre für die Sicherheit, das ist ein fucking Oxymoron. Ob schwerbewaffnete Staatsdiener in der Öffentlichkeit den BND-Normterroristen von seinen Anschlagszielen fernhält, wage ich zu bezweifeln. Ich fühle mich keinen Deut sicherer, wenn der Bundesgrenzschutz mit Vollautomatik mir bei Glühweintrinken auf dem Christkindlmarkt über die Schulter schaut.
Stand in der Stadt rum und wartete auf den Anschlag. Nichts passierte. Es würde ausreichen, seinen Rucksack in die Hand zu nehmen und laut schreiend auf das Unsicherheitspersonal zuzustürmen. Seit dem Ende des politischen Herbstes war es im Nachkriegsdeutschland noch nie so einfach in der Öffentlichkeit erschossen zu werden. Jetzt ist Winter und ein Suizidaler mag auf diesen Trichter kommen. Es besteht derzeit akute Headshotgefahr in allen Einrichtungen des öffentlichen Lebens. „Darüber macht man doch keine Witze!“, und ich mache sie auch nicht. Gedankenspielerei, als ich heute mit einer eingerollten Tüte, die ich unterm Arm trug durch die Stadt ging. Im Rucksack hatte ich eine in Plastikfolie verpackte Ketchupflasche dabei. Weil mir das Ketchup beim Antichrist immer zu wenig ist. Ich wurde nicht aufgehalten und auch nicht kontrolliert. Zum Glück, mit der Nummer wäre ich eh nicht davon gekommen; dass die Flasche für die Pommes und nichts explosives gegen demokratische Grundwerte ist. Das bekommt man nämlich nicht vermittelt. Nicht in diesen Tagen. Selten wurde ich von so vielen erschrockenen Blicken geprüft.
Ich habe keine Angst. Nicht, weil ich die Möglichkeit ausschließe, dass ein Anschlag auch in Deutschland stattfinden könne; nicht, weil mich im Lichterglanz vorweihnachtlicher Hochstimmung euphemistische Verblendung anheim fällt. Es ist mir schlicht egal.
Es ist mir egal, ob mir der Tod hier auf die Schliche kommt und mich ein besonders wacher Schläfer mit tausend Kilogramm Druck pro Quadratzentimeter in alle Einzelteile zersprengt; oder mich übermorgen in dreizehn Jahren ein durch Feinstaub ausgelöster Lungenkrebs zur Strecke bringt; oder in zwei Wochen, wenn mir das Aneurysma im Hirn platzt, weil ich mal wieder zu festen Stuhlgang hatte. Es ist mir schlicht egal. Es macht nämlich keinen Unterschied.
Doch es macht einen Unterschied, ob wir uns jetzt von den Angstmachern in der Politik frivol füttern lassen oder nicht; ob wir uns von den Scharfmachern der Großbuchstabenpresse in eine Gedankenzwangsjacke stecken lassen oder nicht; ob wir in den Scheuklappenmodus fallen und uns hinter jedem neuen Angriff auf die Privatsphäre wegducken oder nicht. Und wenn es wirklich soweit ist, wenn wir das wollen, indem wir es zulassen, dass jeder Bürger unter Generalverdacht gestellt wird und nur noch die Tadellosen, die heroisch Gelassenen übrig bleiben, die sich als Vorzeigeobjekte eines neuen glattgebügelten Establishments des Angst hervortun, vor dem sich der Staat nun endgültig nicht mehr fürchten muss, dann müssen wir uns fragen, ob es wirklich diese Zukunft ist, die wir immer antrebten.
(In dieser Sache, zwei wichtige Dinge: ein Beitrag von Thomas Knüwer und eine Initiative von Mario Sixtus. PARTICIPATE NOW!)
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