Nichts für ungut

Wenn es überhaupt einen unmittelbaren Startpunkt für den Untergang des Abendlandes gibt, dann geht er möglicherweise von Betriebsweihnachtsfeiern aus. Wenn die gnadenbringende Weihnachtszeit, die schon aufgeladen ist mit dieser fickrigen Vorfreude auf das Fest, auch noch von den dazugehörigen rauschigen Firmenfeiern überlagert wird, die nach einer ganz bestimmten Choreografie ablaufen und erst dann wirklich mit Erfolg auf dem Haben-Konto verbucht werden können, wenn alle sich bierselig in den Armen liegen, oberflächliche Versprechungen für das nächste Jahr und gegenseitige Besserungsabsichten erklären, wobei in Wirklichkeit die einzige Frage darin besteht, wer wann sein primäres Geschlechtsorgan in das primäre Geschlechtsorgan des anderen steckt oder umgekehrt und rauskommt, was sich das ganze Jahr über anbahnt, dann ist das insgesamt alles schlichtweg nicht auszuhalten.

Nachmittags gibt es Prosecco mit Orangensaft und auch wenn ich einen davon getrunken habe und es mir damit schon mittelmäßig schlecht geht, entscheide ich mich nach Hause zu gehen, bevor die Sache in eine Richtung eskaliert, die ich am nächsten Tag bereuen könnte.

Am nächsten Tag suchte ich das Gespräch mit meinem Chef, wie schon einige Wochen davor, dass es so nicht weitergehe, Mittelmäßigkeit ist kontextabhängig und im Kontext dieser Firma gehe ich drei Schritte vorwärts und vier zurück und wenn ich als eigenständiger Mensch in Lösungen denke, anstatt in Problemen dann passt das nicht zum Gesamtbild dieser Firma, was alles in allem eine vollkommen okaye Sache aber so ziemlich unvereinbar mit meinem Charakter ist, so viel steht fest.

Ich werde gekündigt.

„Wie bitte? Gekündigt?“ Die Auftragsblätter in der Hand meiner Kollegin zittern, während ich stoisch weiter Paketaufkleber auf Pakete klebe. „Warum, was war der Grund?“

„Sagen wir mal“, und ich mache eine Pause, weil ich den Moment probiere, wie man guten Whiskey probiert, „ich besitze noch ein Fünkchen Selbstrespekt.“

„Hm, verglichen mit den vielen Leuten hier, die eh keinen Bock mehr haben — konsequent.“

„Na ja, das sagt sehr viel über die Leute hier aus.“

„Also, ich weiß überhaupt nicht, was ich dazu sagen soll. Darf … Darf ich dir jetzt gratulieren oder soll ich dir mein Beileid wünschen?“

„Du darfst mir natürlich gratulieren. Aber bitte keine übertriebenen Sentimentalitäten an dieser Stelle.“

„Na dann, Gratulation!“

„Danke.“

Ich sehe das so: Arbeitet man für eine gewisse Zeit als Freiberufler ist es schwer, wenn nicht sogar unmöglich, ohne charakterverbiegende Kunststücke, die die Seele zum Ächzen bringen wieder in das 40-Stunden Hamsterrad der Festanstellung zurückzukehren. Mögliche Erklärungen: Selbstverantwortliches Denken und Handeln wird im Rahmen einer Festanstellung, in einem von Firma zu Firma natürlich unterschiedlichem Ausmaß jeden Morgen an der Eingangstüre abgegeben.

Für alles, das ich tue oder das ich nicht tue bin ich in der Festanstellung demjenigen Rechenschaft schuldig, der über meine Zeit verfügt. Und wenn man nach Leistungen, dem Erfolg seiner Projekte und nicht nach den Stunden seiner Anwesenheit bewertet werden möchte, kann das ein ziemliches Problem sein. Als Freiberufler bin ich nur mir selbst verantwortlich.

Frische Ideen werden so lange zerredet, bis sie schwach und bröslig sind, anstatt etwas zu wagen, während sie noch frisch und wuchtig sind. Kompetenzen und damit verbundene Entscheidungen, die man selbst umsetzen könnte (und vielleicht auch möchte, sofern noch nicht alles in einem abgestorben ist) delegiert man irgendwohin und auf einen unbestimmten Zeitpunkt in die Zukunft. Kurzum: Wenn das Umfeld einer Festanstellung geknüpft ist an einen wohlkurartierten Zustand des Konservierens, dann ist das nicht mein Umfeld, in dem ich gute Arbeit leisten und aufblühen kann.

Manchmal habe ich unkonventionelle Ideen, die ich gerne umsetzen oder zumindest damit spielen möchte. Funktionieren sie, macht das Projekt einen Fortschritt; funktionieren sie nicht, mache ich einen Fortschritt. Wenn ich an die Leine genommen und neue Ideen erst im nächsten Meeting in zwei Wochen kaputtgemeetet werden, dann ist meine Idee und die Begeisterung dafür längst über alle Berge. Oder hat sich in einem stillen Moment in einem dunklen Hinterzimmer selbst die Kugel verpasst.

In vielen Firmen herrscht ausserdem die Grundtendenz, dass sich jeder über „diesen Laden“ beschwert, wobei „dieser Laden“ als Synonym für die Menschen auf der nächsthöheren Verantwortungsstufe steht, egal ob das der Firmenleiter oder ein direkter Vorgesetzter ist, und dennoch wird jeden Tag kollektiv aufs neue auf der Matte gestanden. Das ist der halbseidene Fleiss von matten Charakteren und gehört zum Ton in vielen Firmen. Ich habe diese fadenscheinige Heuchelei ehrlich satt, weil ich schon zu lange in solchen Firmen gearbeitet habe und ja, mich damals auch am Herumnörgeln beteiligte, denn der gemeinsame Austausch von Befindlichkeitskakofonie kann so etwas wie Identität stiften und hält viele Firmen überhaupt erst am Laufen. Aber aus dieser Nummer bin ich raus.

Ich brauche in meinem Umfeld Menschen, die mich inspirieren und die etwas nach vorne bringen wollen und sich nicht beim morgendlichen Kaffee aus der Firmenkaffeemaschine jeden Tag aufs neue ihr gegenseitiges Bedauern über die Gesamtsituation aufs Brot schmieren.

Gestern wurde mir eine „besinnliche Weihnachtszeit“ gewünscht und ich dachte, na gut, das nehme ich wörtlich. Besinnlich heißt, wieder zu Sinnen kommen, wieder Sinn empfinden für eine Sache, idealerweise das Leben an sich. Ein paar Tage vor Weihnachten gekündigt zu werden, um wieder zu Sinnen zu kommen oder etwas wirklich Sinnvolles zu machen. Wie man es auch dreht und wendet, es ist etwas Gutes.

Aber zu dir, liebe Festanstellung: Nichts für ungut, aber die Luft ist raus.

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