In Kafkas Kleiderladen Besuch bei Abercrombie & Fitch in München

Der Abstieg zu dem, was meiner Vorstellung vom Vorzimmer zur Hölle ziemlich nahe kommt begann in der Radiologie am Sendlinger Tor in München. Nach meiner Untersuchung im Magnetresonanztomografen verließ ich leicht orientierungslos das Krankenhaus, ging die Sendlinger Straße entlang Richtung Innenstadt. Und aus einem Grund der totalen Unbestimmtheit zog es mich hinein in Abercrombie & Fitch. Die amerikanischen Klamottenkette hat erst letztes Jahr an der Stelle des ehemaligen Verlagssitzes der Süddeutschen Zeitung eine neue Filiale eröffnete. Ich weiß nicht, ob es daran lag, dass bestimmte Atomkerne meines Gehirn zehn Minuten davor mit 1,5 Tesla zum Schwingen gebracht wurden aber das Geschäft hatte auf mich eine mehr als eigenartige Wirkung. Von den natürlich vollkommen subjektiven Eindrücken dieses Besuchs erzähle ich euch jetzt.

„Wir entwerfen für die coolen Kids, mit denen jeder befreundet sein will, sie sind sportlich, attraktiv, allseits beliebt und beneidet.“
A&F-Firmenchef Mike Jeffries  ((Der übrigens selbst stark verdächtig nach jemandem aussieht, der der Jugendsucht seit 30 Jahren hinterherläuft.))

Abercrombie_Applestore

Um es gleich vorweg zu nehmen: Es geht bei A&F nicht bloß um Pullover und Shirts, die übrigens in Europa fast 30 Prozent teurer verkauft werden als im Heimatland Amerika, sondern auch um Markenkult, um Inszenierung. Um ein ästhetisches Ideal von Jugend und Schönheit, das für die Mehrheit der Kundschaft nicht zu erreichen ist. Interessant ist, dass der A&F-Laden quasi ein invertiertes Modell des Applestores ist, der sich nur ein paar Meter weiter befindet.

Der Applestore ist transparent, hell, steril, Aluminium und Glas bestimmen das Bild. Der gesamte Laden ist das Schaufenster, das Schaufenster ist der Laden und Kunden, die ihn betreten werden durch ihre Anwesenheit und Interesse an den Produkten unweigerlich zu einer Werbefläche und selbst zu einem Produkt. A&F dagegen wirkt hermetisch abgeschlossen, die Ladenfront ist verdunkelt, man blickt nicht hinein, man soll es auch nicht, denn es ist ein Privileg dazuzugehören. Diese erste künstliche Barriere der Abgrenzung zeigt überdeutlich, wie der amerikanische Textilhersteller wahrgenommen werden will.

Dabei steht die Firma schon länger in der Kritik. 2003 wegen Rassendiskriminierung, da der Konzern bevorzugt Weiße einstellte. Ausserdem lässt A&F, wie viele andere Firmen der Branche Kleidung durch Kinderarbeit auf den Philippinen für einen unmoralisch niedrigen Lohn und unter menschenrechtsverletzenden Arbeitsbedingungen herstellen.

Andere Details sind nicht weniger obskur. So muss das Flugpersonal in Jeffries Privatjet eine bestimmte Kleiderordnung einhalten, ebenso wie die Angestellten der Verkaufsgeschäfte: Jeans, Polohemden, Flip-Flops, alles natürlich Artikel der eigenen Marke, sowie ein Spritzer des hauseigenen Parfums. Mäntel dürfen erst getragen werden, wenn die Temperatur unter 10 Grad fällt. ((Raus kam das alles erst, als ein Pilot nach seiner Entlassung Klage einreichte. Er wurde zugunsten eines jüngeren Piloten entlassen.))

Und als ob das nicht reichen würde, sorgt Jeffries mit kontroversen Aussagen in der Öffentlichkeit immer wieder für Diskussionen.

„We hire good-looking people in our stores. Because good-looking people attract other good-looking people, and we want to market to cool, good-looking people. We don’t market to anyone other than that.“

 

„People said we were cynical, that we were sexualizing little girls. But you know what? I still think those are cute underwear for little girls. And I think anybody who gets on a bandwagon about thongs for little girls is crazy. Just crazy! There’s so much craziness about sex in this country. It’s nuts! I can see getting upset about letting your girl hang out with a bunch of old pervs, but why would you let your girl hang out with a bunch of old pervs?“

In verschwörerischer Dunkelheit, die wie ein wildes Tier gefangen ist

Zurück zu der Eingangstür des Ladens. Gleich nachdem diese von innen geöffnet wird, begrüßen mich natürlich ein paar wahnsinnig gutaussehende junge Menschen. Das Vekaufspersonal, in den Geschäftsrichtlinien schlicht Boys & Girls getauft, ist vielzählig. Der Erstverdacht erhärtet sich: Wo es so viele wahnsinnig gutaussehende Menschen auf einen Haufen gibt, wird die Sache schnell unglaubwürdig.
Aber sie sind natürlich auch alle wahnsinnig freundlich. Wirklich überall, das wird mir erst im späteren Verlauf klar, wird sich um mein Wohlergehen erkundigt. „Hi!“ und „Hello!“ und „Bye!“ und „See you!“ und „How you’re doing?“ und „How is it going?“, das einem ständig zugenuschelt wird, so dass in der lauten Musik nur ein eigenartig breiiges Geflüster übrig bleibt.

Und dann geht es hinein. Die hohen Säulen und Bögen des Parterre vermitteln einen sakralen Eindruck. Es ist düster, hunderte kleiner Lichtspots zielen auf die Produkte, ein peinlich genau gesetztes Lichtarrangement. Hat man sich allmählich an die Dunkelheit gewöhnt, lässt sich etwas Besonderes erkennen. Der Boden, die Decke, die Verkleidung an den Wänden – die gesamte Einrichtung besteht aus einem schwarzen Holz, das ölig wirkt und schwer. Es dauert zunächst eine Weile, bis ich begreife, aber die Maserung der Holzes wirkt lebendig und bei weitem nicht so tot und künstlich wie Laminatböden oder Betonwände. Auf mich macht es jedoch einen bedrohlichen Eindruck, wie ein wildes Tier, das im Verborgenen lauert. Das selbe gilt für die gesamte Dunkelheit des Ladens, sie hat etwas verschwörerisches. Man schleicht also dahin, in verschwörerischer Dunkelheit, die wie ein wildes Tier gefangen ist.
Jedes Stockwerk ist unterteilt in kleinere Parzellen und die Schwere dieser kleineren Räume vereinnahmt einen vollkommen. In Utero ((„In der Gebärmutter“)) sollte auf kleinen Täfelchen über diesen abgetrennten Bereichen stehen, denn ein Gefühl kommt auf, als stecke man irgendwo ganz tief drin. Und doch hat es nichts wärmendes.

„How is it going?“

Ich denke an Szenen aus Filmen von David Lynch, David Cronenberg und Alfred Hitchcock; fühle eine Beklemmtheit, eine Ahnung von diffuser Bedrohung. Nichts an und für sich wirkt beunruhigend oder falsch. Es ist nur der Verdacht, dass Mächte sich ruhig ausrichten und es Ärger geben wird. Wenn Kafka einen Kleiderladen entworfen hätte, er sähe genau so aus.

„Hi!“

Die Kassen stehen, wen wundert es, ebenfalls auf pechschwarzen massiven Holztischen. Es könnten Bürotische sein, an denen globale Pläne für die totale und irreversible Verwestlichung der Welt ausgeheckt werden. Die Kassenstationen gleichen Altaren, Opfertischen.

„Hello!“

Noch im Eingangsbereich wird der Blick auf eine Bronzestatue gelenkt, ein nackter Mann, der entfernt an Michelangelos David erinnert. Weiter hinten im Laden befinden sich Gemälde an den Wänden: junge Männer in Abenteuerposen, beim Gipfelstürmen, beim Domestizieren von Tieren, beim Nacktbaden und lasziv in der Sonne liegen, mit Schrotflinten in der Hand. Die Darstellungen sind natürlich Kitsch, ein Vergleich drängt sich unweigerlich auf: Ich sehe Riefenstahls Diskus- und Speerwerfer im „Triumph des Willens“ ((sollte der Link „in eurem Land“ nicht funktionieren: http://www.youtube.com/watch?v=_yoiXQslgI8)) , die Art, wie hier der Körper inszeniert wird erinnert bis zur allerletzten Blödigkeit an den Körperkult des Nationalsozialismus.
Mehr als nur bedenklich, wenn dass ein Geschäftsmodell sein soll. Aber es handelt sich ja zum Glück nur um total coole junge Typen, mit denen jeder befreundet sein will.

„How you’re doing?“

Und Spiegel! Auf jeder freien Wandfläche befinden sich Spiegel, sodass man sich bei keinem Blick sicher sein kann, ob das, was man sieht echt ist oder nur eine Reflexion. ((Wobei die Frage nach Echtheit, die Frage nach Authentizität bei A&F eh bis zur Bewusstlosigkeit überhöht wird, insofern wird die Frage überflüssig.))
Alle angebotenen Produkte – Hemden, Hosen, Kleider, Pullover und dergleichen – sind in den schwarzen Regalen bis zur Decke hoch gestapelt. Durch die Spiegel wird nicht bloß die absurd hohe Stückzahl der Artikel noch weiter vervielfältigt, die Spiegel lenken die Blicke in zwei weitere Richtungen. Zunächst auf einen selbst (Narzismus), aber auch um die Ecke, auf die natürlich alle wahnsinnig perfekt aussehenden, meist knapp bekleideten Boys & Girls (Voyeurismus).

„Hi!“

Das Verkaufspersonal, um noch einmal darauf zurückzukommen, hat in diversen Zeitungsartikeln schon viel Aufmerksamkeit erhalten. Tatsächlich, sie wirken alle geklont, das Image der Zielgruppe ist ganz offensichtlich von starken stereotypen Vorstellungen geprägt: die wahnsinnig gutaussehende, vermögende und sich über finanzielle Probleme keine Gedanken machen müssende weiße Oberschicht. Junge, definierte Körper, unschuldig, makellos, aber auch verrucht. Ein stark sexuell konnotiertes Stildiktat.
Ich kannte bis dato tatsächlich kein Unternehmen, dessen Kunden so rigoros ein stereotypes Bild seiner Zielgruppe aufgedrückt bekommen.

Besonders markant ist das permanent übertriebene Lächeln der Boys & Girls, per se ja nichts schlechtes. Aber in ihren Blicken liegt etwas tiefschürfend unverblindliches.
Die Boys sehen also alle gleich aus, die Girls ebenso, aber auch viele der Kundinnen und Kunden. Die A&F-Marketingstrategie funktionert.

Die Damenabteilung im Zweiten wird von der Kinderabteilung im dritten Stock abgeschlossen. Ich muss zweimal hinsehen, denn die Unterschiede zwischen den Kleidergrößen der Kinder- und den der Damensachen lassen sich kaum ausmachen. Viele der Artikel für Frauen sind explizit als „skinny“ markiert, mit dementsprechend absurd schmalen Passformen. Normale Frauen würden hier nicht bloß einmal Minderwertigkeitskomplexe bekommen.

„A lot of people don’t belong [in our clothes], and they can’t belong. Are we exclusionary? Absolutely. Those companies that are in trouble are trying to target everybody: young, old, fat, skinny. But then you become totally vanilla. You don’t alienate anybody, but you don’t excite anybody, either.“

Schlachten wir das goldene Kalb der visuellen Perzeption und macht bitte einer das Licht an

Die Musik ist laut, sie läuft ohne Unterbrechung, ohne Chance wenigstens einmal seinen Atem zu hören, ein permanenter Remix, Clubatmosphäre, irgendwas in der Art. Die Absicht die Konsumenten damit „zu umarmen“ klappt bei mir nicht besonders gut.
Dass der gesamte Laden nicht nur übermäßig beschallt, sondern mit dem Parfum Fierce ((was übersetzt wild, leidenschaftlich, heiß, aber auch anspruchsvoll, bösartig, kämpferisch und furchterregend bedeuten kann)) beduftet wird, wurde von vielen Seiten bereits als störend kritisiert. Was ich jedoch interessanter finde ist die Konsequenz aus diesen beiden Übersättigungen. Es stellt sich nämlich nach einer gewissen Zeit eine olfaktorische Taubheit ein, durch die laute Musik eine akkustische. Die Wahrnehmung der Kundinnen und Kunden wird dadurch noch stärker kanalisiert; der Fokus verengt sich noch mehr auf den visuellen Eindruck, es ist dunkel, man kann gar nicht anders, als nur die punktuell beleuchteten Produkte wahrzunehmen.

„Hi, can I help you?“

Es gibt keine offensichtlich erkennbaren Preisschilder, damit die Illusion nicht zerstört wird und man nicht vorzeitig ins Grübeln kommt, warum eine Vintage-Short ((das ist, für all diejeniegen, die modetrendtechnisch gesehen nicht ganz so hart am Limit segeln, eine abgeschnittene neue Jeans, die mit künstlichen Rissen und Löchern versehen wird, damit sie wie eine neue Alte aussieht)) 44 Euro, ein einfaches Hemd 50 Euro kostet, von dem im Herstellungsland bloß ein idiotisch geringer Bruchteil des Gewinns hängenbleibt.
Noch eine weitere Feststellung zur dauernden Beschallung und Benebelung. Geräusche und visuelle Wahrnehmungen werden nur sekundär von den Besuchern nach draussen getragen, in Form von Erzählungen zum Beispiel. Der Duft aber bleibt an einem hängen, macht einen selbst zum toxischen Botschafter dieser Firma, zu einer zweibeinigen Werbetafel.

Als ich mich in einen der schwarzen Ledersessel im dritten Stock setze – von dem Lärm und dem Parfum und der tierischen Dunkelheit und den magnetischen Nachwirkungen des MRT in meinem Gehirn ziemlich benebelt – und mir Notizen mache, sehen mich die Girls verwundert an. Von all dem, was man in so einem Laden anstellen kann, wird mit „sich hinsetzen und nachdenken“ wohl am allerwenigsten gerechnet.
Bitte NICHT reflektieren, ist, wenn überhaupt irgendetwas, die einzige Abmachung, der hier gilt. „Kauf es, partizipiere, sei cool und jung und hip!“, das ist die eigentliche Geschichte, die sie hier erzählen. Aber natürlich ist das zu einfach gedacht. Natürlich will das jede Firma erreichen: Identifikation schaffen. Natürlich gilt das als Prämisse für den Bau weiterer Konsumtempel der meisten Unternehmen. Abercrombie & Fitch macht das jedoch besonders perfide.

„Bye! Have a nice day!“

Als ich den Laden verlasse sickern große Schneeflocken herab, treffen auf mein vollkommen überhitztes Gesicht, wo sie kleine Nadelstiche hinterlassen und explodieren und wie tausend Sternschnuppen an mir herabprasseln. Obwohl die tote Betonstadt draussen auf mich wartet, kam sie mir noch niemals so superreal vor, wie in diesem Augenblick.


 

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