Über die Geschmacksrichtung

Um das Wort „Geschmacksrichtung“ vollumfänglich zu kapieren, muss man vielleicht zwangsläufig in Vektoren denken.

Nehmen wir also einen findigen Lebensmittelchemiker, der an einer neuen Rezeptur für, sagen wir, z.B. Mango–Joghurt tüftelt. Das soll in diesem Beispiel unsere willkürlich veränderliche Stellgröße, die unabhängige Variable sein, in unserem Fall also der geschmackliche Eindruck eines industriell hergestellten Produkts. Und es gibt die Auswirkungen dieser Manipulationen auf eine Messgröße, die abhängige Variable. Also das, was der Konsument bei besagtem Joghurt schmeckt, im Idealfall also Mango.

Starten wir bei null und der Lebensmittelchemiker wirft unüberlegt ein paar Reagenzien in sein Glas, was alles in allem den Geschmack von recyceltem chinesischen Altpapier erzeugt, wird die abhängige Variable dieses Tamtam mit schlagartigen Kotzanfällen quittieren, solch abgehärtete Geschmacksknospen besitzt niemand.

Der Lebensmittelchemiker schraubt eifrig weiter an der Rezeptur, arbeitet sich weiter über die Geschmacksfelder von verwesendem Iltis, zu Flusensieb aus der Waschmaschine, weiter zu abgelaufenem Harzer Handkäse und langsam — jetzt sehen Sie, wir befinden uns auf einer Reise der Annäherung — an den geplanten Zielgeschmack heran: etwas, das einen entfernt an Obst erinnern mag, dem Geschmack von Mangos vielleicht sogar nicht ganz unähnlich.

Wenn Sie das nächste mal also das Wort Geschmacksrichtung in den Mund nehmen oder etwas in den Mund nehmen, dessen Bestandteile weitestgehend auf die Reise einer Geschmacksrichtung geschickt wurden, denken Sie daran: eine Geschmacksrichtung kann stets nur eine Annäherung an den Geschmack von irgendetwas, aber eben niemals der echte Geschmack von etwas sein. Denken Sie einfach in Vektoren, das hilft. Oder kaufen Sie den Scheiss einfach nicht.


Dieser Beitrag wurde auch auf MEDIUM veröffentlicht.

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