Ich war früh dran an diesem Morgen und wartete auf einem fast leeren Bahnsteig. Weithin hörbar sich unterhaltend kamen fünf Damen gesetzten Alters die Treppe hochgestiegen; sie gehörten zusammen, ein einzig gackerndes Überbleibsel einer verschrobenen Jugendclique oder eines alt gewordenen Häkelclubs. Als sie an mir vorbeigingen, überkam mich eine irre Duftwolke aus Puder, Parfum und Haarspray. Welches davon jenseits von gut gemeint dosiert war, kann ich im Nachhinein mit Bestimmtheit nicht so recht sagen, wahrscheinlich alles zusammen. Sollte sie also wirklich jemand überhört haben, so waren sie zumindest olfaktorisch nicht zu missachten. Eine kleidete sich in neonpinkfarbenes Kunstleder, vom Kopf einer anderen wallte eine selten unverschämt künstlich wirkende, pflaumenfarbige Haarpracht. Den Rest des Tages war ich fest davon überzeugt, es mit getarnten Aliens zu tun gehabt zu haben.
Die letzte dieser Frauen trug eine Plastiktüte vor sich her. Have a good time in Dubai, stand dort in markanten roten Lettern über einer im Meer versinkenden Sonne. In dem Augenblick schob sich ein Containerzug mit lautem Gebrüll durch den Bahnhof, schweres Metall tackte quälend langsam über die Gleise. Mein iPod spielte The Doors und Jim Morrison klagte mit siegessicherer Verzweiflung den drohenden Untergang in meine Ohren. Weird scenes inside the goldmine. Nichts erschreckendes lag in dieser Szenerie, nur die gewöhnliche Furcht und Verdammnis einer zur Normalität geronnenen Bizarrheit, wie sie einem nur in der Früh begegnet, wenn die Gedanken noch jung und unverbraucht sich in der Gehirnschale wiegen und sofort gebannt sind vom dumpfen Knall des sonderbaren.
In der S-Bahn dann die üblichen grauen Gesichter, die sich hinter aufgeschlagenen Zeitungsblättern versteckten. Von den Titelzeilen erfuhr ich nur einen Haufen Mist, von Morddrohungen gegen Josef Ackermann, von Kylie Minogues Brustkrebs, Harald Schmidts Quotenkampf und Paris Hiltons Besuch in München. „Irrer Fan flippt aus.“ Ehrlich gesagt kann ich Ms. Hilton nicht leiden, die Gründe sind vielzählig. So habe ich zum Beispiel noch keine Frau gesehen (entsprechende Videos der jungen Dame sind ja zu Genüge in Umlauf), die so armselig leidenschaftslos fickt, wie Paris Hilton.
Später am Tag verabschiedete ich in der U-Bahn eine Freundin, die ich leider viel zu selten sehe. Wir hatten einen schönen Tag mit Sonne und Eis und guter Unterhaltung. Abschiede in der U-Bahn sind scheisse, eine künstlich geschaffene Atmosphäre der Verlangsamung an einem Ort, an dem einen permanent die Aufbruchstimmung treibt; immer das Gefühl, irgendwo dazwischen und bald an der nächsten Haltestelle zu sein. Das wäre in Aufzügen bestimmt nicht viel anders. Das nächste mal würde ich mich gerne an einem anderen Ort von ihr verabschieden.