Vom Verzetteln Wer schwankt hat mehr vom Weg

Das Problem ist doch, dass wir viel zu viel Zeit mit anscheinend nutzlosen Dingen verbringen. Oder, vielleicht nicht ganz so generell verurteilend: Ich verbringe viel Zeit mit anscheinend nutzlosen Dingen. Nehmen wir die vergangenen zwei Stunden. Es ist jetzt kurz nach Mitternacht. Ich hätte Ruhe gehabt. Kind und Frau schlafen. Und ich, ich verzettle mich schon wieder im Internet.

Natürlich bin ich nur interessanten Dingen nachgestiegen. Aber genau das ist das Problem: alles scheint interessant. Wie viele Bücher hätte ich in meinem Leben mehr lesen (oder schreiben) können? Wie viele Kilometer wäre ich mehr gelaufen? Wie viele Stunden Schlaf hätte ich mehr gehabt? Schau dir deinen Browserverlauf der letzten zwei Stunden des vergangenen Tags an, bevor du ins Bett gegangen bist, dann weißt du, wovon ich spreche.

Würde man all die verzettelten Stunden zusammenrechnen, die ich in meinem Leben so leichtfertig hingegeben habe, es käme dabei die Dauer eines gesamten Hundelebens heraus. Aber ich bedauere es nicht. Was würde das schon für einen Sinn ergeben?

Nur: Dieses permanente Verzetteln, das macht einem das Gehirn ganz fransig. Macht es zunehmend schwieriger, sich länger auf eine Sache zu konzentrieren. Fügt den ewigen Turbulenzen im Oberstübchen bloß noch mehr Sturm hinzu.

Diese Notiz hier entstand zuerst handgeschrieben. Schreiben auf ganz ordinärem Papier schafft Jetzt. Sollte jeder Mensch ab und zu mal machen, um den Dingen nicht ständig hinterher zu laufen. Es hilft, die sekundenschmale Aufmerksamkeitsspanne einer durch hartnäckigen Medienkonsum drangsalierten Wahrnehmung wieder etwas weiter zu machen.

Das kann ein heilsamer Prozess sein: einen Gedanken finden, dem Gefühl nachspüren, den Gedanken ausdrücken, entwickeln, fixieren, einen weiteren Gedanken finden, dem Gefühl nachspüren, und so weiter und so fort.

Trotzdem merke ich, dass dieser Drang zu schreiben, den ich oft habe und damit auch der Stress, den ich mir unnötig selbst mache, weil ich durch das viele Verzetteln mal wieder zu nichts komme oder mich irgendwas triviales abhält, oftmals gar nicht der Drang ist, etwas zu schreiben, sondern der unterschwellige Wunsch, vielleicht sogar eine Art Sucht, sich zu verzetteln. Das gibt es nämlich auch: den Wunsch sich zu verzetteln.

Natürlich lassen sich bestimmte Geisteshaltungen üben, bestimmte Rahmenbedingungen schaffen und Routinen einstudieren, um produktiver zu sein. Das Internet ist voll davon. Hier hast du 10 gute Tips, wie du ein besserer Autor wirst. Dort sind 25 Ideen, wie du es schaffst nicht mehr zu prokrastinieren. Klick mich hier, klick mich dort, und so weiter und so fort.

Man kann also einwandfrei behaupten, dass man ohne weitere Probleme ein halbes Leben damit verbringen kann, all die Artikel zu lesen, in denen erklärt wird, wie man ohne weitere Probleme ein halbes Leben dazugewinnen könnte, wenn man nicht all die Artikel lesen würde. „Konsumiere weniger, als du produzierst.“ Auch so ein halbseidener Imperativ.

Da meint doch einer einen Ausweg zu sehen, wo es in Wirklichkeit gar keine Situation gibt, aus der er flüchten müsste. Entdecken wir auf unseren Abwegen dann etwas, das uns begeistert, sagen wir: „Was für ein glücklicher Zufall!“ Dabei steckt der Spürsinn oftmals in uns selbst, man muß nur die Augen offen halten. Das englische „Serendipity“ beschreibt die Gabe, zufällig glückliche und unerwartete Entdeckungen zu machen. Also etwas zu finden, nachdem man gar nicht gesucht hat. Ist das Prokrastinieren (Entschuldigung, aber ich muß bei diesem Wort ständig an etwas fäkalisches denken) damit vor allen Dingen nicht etwas zutiefst menschliches? Die Lust zu taumeln, die Lust, sich zu verlieren? Wer schwankt hat mehr vom Weg.

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