Tippgemeinschaft

Lottofieber. Eine kleiner Schreibwarenladen auf dem Lande, Leute stehen Schlange. Ich wollte eine Fahrkarte kaufen und begreife erst langsam, was um mich herum geschieht. Jeder wedelt hier mit einem roten Schein, Wunschzettel an die Lottofee. Große Kinder mit glänzenden Augen, jetzt dürfen sie nochmal träumen. Der Jackpot brodelt, 38 Millionen sind es an diesem Wochenende, was macht man eigentlich mit soviel Geld? Im Schreibwarenladen staut sich ungeduldige Spannung, es strömen immer mehr der im Zahlenspiel Heilsuchenden herein. Man drängt sich dicht an dich, jeder schiebt ein wenig nach, als ob über Gewinn oder Niederlage entscheiden würde, wer zuerst seinen Schein zur Annahmestelle bringt. 14, 23, 43, 36. Oder die Geburtstage der Kinder – das leise Murmeln von Zahlenkolonnen erinnert an Klostermönche, die den Rosenkranz beten. Langsam geht es, einen Schritt nach dem Anderen vorwärts, der Fernseher zeigt Wirtschaftsnachrichten. Die Aktienkurse, die über die Displays der heiligen Börsenhallen flimmern sind unsere Orakel; die durchkreuzten Zahlenfelder der Lottoscheine unser Voodoo. Die Verkäuferin nun zum Kunden vor mir, man kennt sich: „Zusatzzahl ja oder nein, Steff? Des hast du nämlich ned ankreuzt.“ Er: „Na na, lass guad sei. I muss sparn.“ Und spielt Lotto. Selbst im gleissenden Schein der Jackpot-Utopien bleibt der Mann nüchtern. Oder doch bloß geizig? 30 Euro kostet meine Fahrkarte, ich bin der einzige, der keinen Lottoschein aufgibt. Als ich den Laden verlasse, denke ich nicht an Yachten und Inseln, an einen Maybach oder an einen Spaceshuttle-Flug in die nahe Erdumlaufbahn.

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