Was man nicht alles im Namen der Wissenschaft über sich ergehen lässt. Sebastian von Himmelende geht in der Serie „Lauferfahrung dokumentiert“ der Frage auf den Grund, welche Stoffe in Nahrungs- und Konsumprodukten sich wie auf den Organismus eines Sportlers auswirken. Am Ende der Teststrecke steht eine rasselnde Lunge, ein paar Gramm Hüftgold mehr, aber auch die Erkenntnis: es ist nicht alles schlecht, was ungesund aussieht.
Zigaretten
Na das geht ja gleich mal mittelprächtig los. Für einen Ex-Raucher – mittlerweile seit sechs Jahren abstinent – sind die Verlockungen am Ende der zweiwöchigen Teststrecke enorm und ich musste mich gehörig zusammennehmen, um mit dem Rauchen nicht wieder anzufangen. Die Macht der Gewohnheit und die Macht suchtgenerierender Tabak-Inhaltsstoffe sind ein paar hinterfotzige Kandidaten, aber das soll jetzt nicht Gegenstand meiner Betrachtung sein. „Manchmal muss man Rauchen, um das Nicht-Rauchen nicht überhand nehmen zu lassen.“ Das gilt aber auch im Umkehrschluss und das befreiende Gefühl, wenn sich der ganze schleimige Scheiss wieder aus der Lunge löst, ist unübertroffen.
Was steckt drin
Hauptbestandteil einer Zigarette ist neben Teer und ein paar anderen leckeren Zusatzstoffen das Nikotin. Als Acetylcholin-Konkurrent (ein Neurotransmitter, der für die Weiterleitung eines Impulses vom Ende der Nervernfaser zum Muskel verantwortlich ist), dockt es an Rezeptor-Molekülen der Museklfaser an, besetzt diese und löst Muskelzittern aus. Fies: Es kann von körpereigenen Enzymen nicht abgebaut werden. Nikotin ist also, ähnlich wie Curare, ein Nervengift: ein Muskelrelaxans. Die letale Dosis für einen gesunden, erwachsenen menschlichen Organismus liegt bei 20 – 35 mg, was nicht besonders viel ist. Ein paar Zigaretten ins Müsli gekrümelt und der Rest des Tages verläuft, naja, sagen wir eher ungünstig.
Bei der Verbrennung des Tabaks entstehen dann noch in etwa drölfmillionen anderer kleiner, fieser Nebenprodukte, die meisten davon mit karzinogenem Charakter, also krebserregend. Summa summarum also genau die richtigen Stoffe, die ein Sportler so braucht.
Versuchsaufbau und Erfahrungen
Dazu gleich eine kurze Anmerkung. Die von mir beschriebenen Erfahrungen sind subjektiver Natur, die von Mensch zu Mensch variieren können. Dass sie nichtwissenschaftlicher Art sind, brauche ich nicht extra zu erwähnen. Genau so wenig, wie dass die einzelnen Versuche dieser Serie schlecht bis gar nicht miteinander zu vergleichen sind. Trotzdem will zumindest folgende Rahmenbedinungen festlegen:
- Die Versuchsphase erstreckt sich immer über 14 Tage.
- In dieser Zeit treibe ich weiterhin Sport, d.h. alle 48 Stunden 10 Km Joggen.
- Mindestens 4 Stunden vor dem Laufen erfolgt die letzte Zufuhr des jeweiligen Stoffes.
In diesen 14 Tagen rauche ich 34 Zigaretten (1,0 mg Nikotin, 10 mg Kondensat und 10 mg Kohlendioxid pro Zigarette). Gleich die erste Inhalation wirkt heftig: Schwindelgefühl und leichtes Muskelzittern. Meine Verdauung spielt verrückt, permanent befinde ich mich auf dem Weg zwischen Schreibtisch und Toilette. Der Effekt beim Laufen innerhalb der ersten Tage ist sofort spürbar: Kreislaufbeschwerden und Muskelkrämpfe nach den ersten Kilometern. Für gewöhnlich laufe ich Distanzen zwischen 10 und 15 Km, ohne überhaupt daran zu denken, aufzuhören. Nach drei Tagen Zigarettenkonsum ist nach 4 Km erstmal Schluss. Ich brauche einen Zwischenstop, weil ich nicht genügend Luft bekomme. Es rasselt in meiner Lunge und es fühlt sich an, als würde einem der Hals zugedrückt werden. Ich fühle scheinbar jedes einzelne Lungenhärchen stechen, fühle die Lunge als solches in meinem Brustkorb und das ist übel.
Nach einer Woche (ich muss meine Laufdistanz bereits auf 5-6 Km runterschrauben, mein Puls springt jetzt nämlich schon nach 800 Metern in eine Region, die alles andere als gesundheitsförderlich ist) gesellen sich zu den leistungsmindernden Effekten noch Stoffwechselstörungen: Ich bekomme Pickel und zwar richtig viel. Als die 14 Tage vorüber sind, laufe ich nicht mehr gegen die Muskelerhärtung durch Überreizung, sondern gegen den Schmerz in meinem Brustkorb.
Fazit
Egal, was eure Idole, Freunde und der Marlboro-Mann erzählen: Rauchen ist scheisse. Punkt. Die Aspekte der Sozialisierung und der Kommunikationsförderung von Zigaretten stelle ich nicht in Abrede. Als Leistungs- und Ausdauerkiller rangieren Zigaretten in meinen Versuchen jedoch absolut unangefochten in der Kategorie „gesundheitliche Wasserstoffbombe“.
Immense körperliche Beeinträchtigungen und die entstehende Suchtwirkung – dieser erste Versuch war im Vergleich zu allen Folgenden der Übelste. Am Ende tat mir meine Lunge richtiggehend leid, wie sie nach jedem Lauf versucht hat, mit vermehrter Schleimproduktion diesen ganzen Schrott aus sich heraus zu husten. Die Leistungsminderung lag in meinem Fall bei über 50%. Meine Muskeln hätten in dieser Zeit mehr drauf gehabt, allein es fehlte an Luft.
Zwei Wochen nach Testende war ich in etwa wieder auf dem Leistungsniveau wie davor. Das ist überraschend schnell. Allerdings dürfte noch weitaus mehr Zeit vergehen, bis wirklich alle Schadstoffe in meinem Körper abgebaut sind.
Für alle angehenden Nichtraucher, ehemals rauchende, jetzt rückfällig gewordene Sportler (oder Läufer mit dem latenten Drang zu masochistischen Selbstversuchen) empfehle ich folgendes. Weiterlaufen und nicht schonen, gemäß dem Motto: „Ich erhol mich erst mal ein paar Tage und fang dann nächste Woche wieder mit dem Sport an.“ (Die Gefahr, in dieser Zeit wieder Blödsinn anzustellen, ist groß!) Da Nikotin vom Körper selbst zwar relativ einfach abgebaut werden kann, an der neuromuskulären Synapse jedoch nur durch eine vermehrte Acetylcholin-Ausschüttung von den Kontaktstellen „vertrieben“ wird: macht weiter Sport. Ausserdem merkt man dabei am Besten, was für einen Scheiss man sich eigentlich antut und überlegt es sich vielleicht zweimal, mit dem Rauchen wieder anzufangen.
Zum Thema:
Rauchen und Sport – Einfluß von Tabakkonsum auf die körperliche Leistungsfähigkeit im Sport
Regeneration – Was im Körper nach der letzten Zigarette passiert
Wenn man das liest, bekommt man echten Erkenntnisekel und ist weiterhin froh, noch nie geraucht zu haben. Und Hut ab für den Selbstversuch – ich hätte ihn ob des Ekels und meiner Prinzipien nicht mal annähernd durchführen können…
Davon, dass ich beim Laufen sofort Saitenstechen (!) bekomme, wollen wir erst gar nicht reden.
War sehr interessant!
LG,
Olli