Stolz und mit spitzbübischem Lächeln wendet sich der Mann der Kamera zu. Er hält für ein paar Augenblicke inne, rammt den Spaten in den Boden. Fruchtbare Erde, ein Stück Heimat, seine Heimat. Land, das ihn, zusammen mit tausend anderen Bürgern Sotschis ein Leben lang ernährt hat. Man sieht es ihm nicht an, aber in seiner Stimme schwingt Resignation. Dieser Mann flieht vor den anrückenden Schaufelbaggern und Teermaschinen, aber er kapituliert nicht. Er versucht, mit seinem Spaten und dem absurd kleinen Sack voll Erde zu retten, was zu retten ist. Während im Vordergrund Garten und Laube zu sehen sind, Büsche und Sträucher, Inventar einer Heimat, die dem Untergang geweiht ist, rollt im Hintergrund eine übermächtige Beton- und Stahlgewalt an: die Olympischen Winterspiele 2014 in Russland.
„Wir werden weiterleben. In einem neuen Haus.
Mit unserer alten Erde.“
Bald wird also wieder das olympische Feuer entfacht, Sinnbild für das Entfachen einer Idee: der Olympischen Idee, die „neben der Entwicklung des Leibes das Werk moralischer Vervollkommnung und sozialer Befriedigung weiterführen soll“. Vom 7. bis 23. Februar finden in der Gegend am Kaspischen Meer, der einzigen Region Russlands mit subtropischem Klima die diesjährigen Winterspiele statt. Und anstelle eines idealen, schöpferisch wirkenden Bildes, entzünden russische Oligarchen und Funktionäre nun eine ganz andere Idee: die Idee der absoluten Macht durch staatlich legitimierte Zwangsenteignung. Von moralischer Vervollkommnung zu unmoralischer Vernichtung von Wesen und Land hat es nicht viel mehr als 100 Jahre gebraucht. Herzlichen Glückwunsch.
ARD-Dokumentarfilm: Brot und Spiele. Wenn Menschen bei Olympia stören.
Macht korrumpiert. Absolute Macht korrumpiert absolut.
Im Namen der russischen Föderation macht die Regierung Putins aus Hausbewohnern per Gerichtsbeschluss Obdachlose. Nachdem Russland die Zusage für die Ausrichtung der Spiele bekam, verabschiedete die Staatsduma das „Olympische Gesetz 310“, ein 500 Seiten umfassendes Dokument dessen wichtigster Teil besagt, dass jedes Grundstück oder Gebäude, das für die Olympischen Spiele benötigt wird, enteignet und verstaatlicht werden kann, ohne Vorbehalt und Einspruchrecht. Alles ganz legal und demokratisch natürlich.
Putin hätte sein Großprojekt gerne heftiger und mit weniger Buhrufen vorangetrieben. Allein, es stört der Mensch! Was die Regierung lapidar als „zeitweilige Unannehmlichkeit“ zusammenfasste, Bewohner also, die um ihr Recht kämpften, ihre Häuser besetzt hielten und ihr Land verteidigten, war jedoch bei weitem nicht die größte Unannehmlichkeit des Bauherren.
Rußland ist ein sehr kaltes Land, man muß in diesem riesigen Gebiet wirklich sehr lange suchen bis man einen Ort gefunden hat an dem kein Schnee liegt. Putin hat genau so einen Ort gefunden.
Mutter Natur hat viel übrig für gute Ironie und es gibt Dinge, die auch der Vorzeigedemokrat Putin nicht beeinflussen kann. Einige der neu errichteten olympischen Bauwerke versanken in der sumpfigen Landschaft der Gegend, so wie die Finanzmittel dieses megalomanischen Projekts in einem zähen Korruptionssumpf versanken. Lag das Budget der Spiele in Vancouver 2010 und Salt Lake City 2002 noch bei ungefähr 2 Mrd. Dollar, wurden aus den zu Beginn veranschlagten 12 Mrd. Dollar. für Sotschi schnell 45 Mrd. Dollar. Tendenz steigend.
Wenn man also auf eine Karte Russlands schaut und herausfinden will, welches Stück der russischen Erde sich ideal zur Privatisierung eignet, um als Wohnpark für den russischen Geldadel zu dienen, und wenn man die Olympischen Spiele bloß als Mittel einer beschleunigten Privatisierung dieser Orte betrachtet, spätestens dann sollten einem die Augen aufgehen, warum die Wahl auf Sotschi fiel.
Putins Spiele | Arte (noch 7 Tage online anzuschauen, Wdh. am Donnerstag, 06.02. um 8:55 Uhr)
Die Spiele sind eine humane und ökologische Katastrophe
Und so musste in gebotener Kürze und unter Termindruck auf ein paar Neubauten verzichtet werden. Ein Krankenhaus zum Beispiel, eine Golfanlage, nicht weiter erwähnenswert. Da Eissportstadien im Sommer eher wenig Sinn ergeben – soweit haben die russischen Planer natürlich gedacht – werden sie für die Zeit nach den Spielen in Einkaufszentren verwandelt, was ausländische Investoren freuen dürfte. Der einstmalige Kurort wurde in den letzten Jahren extremen sozialen und ökologischen Umkremplungsmaßnahmen ausgesetzt. Dass Salzburg, das auch auf der Bewerberliste stand und abgelehnt wurde, bereits über eine vorhandene Wintersport-Infrastruktur verfügt und nur mit minimalinvasiven Mitteln zur Olympiahochburg hätte umgerüstet werden müssen, steht auf einem anderen Papier.
Lasst die Spiele beginnen und von der sportaffinen Weltöffentlichkeit gefeiert werden.
Wer nun was und wie über die Olympischen Spiele sagen darf, das würde das IOC am liebsten selbst kontrollieren. Sportler, die Kritik üben, droht der Teilnahmsentzug zu den Wettkämpfen. Berichterstattungen, die einen prüfenden Blick auf das legale Fundament dieser Veranstaltung werfen und die nicht im allgemeinen Hosianna der Lobhudelei mit einstimmen, werden zensiert, Filmmaterial nicht freigegeben und auf weit nach Mitternacht-Sendeplätze verbannt.
Beabsichtigt oder nicht: Auch die deutschen öffentlich-rechtlichen Sender, quasi die Haus- und Hoflieferanten für Putins medialen Omnipotenzbeweis machen sich zu stummen Dienern eines äußerst fragwürdig „demokratischen“ Systems.
„Themen, die im Fokus einer kritischen Begleitberichterstattung stehen müssen (…) werden eben in die einschlägigen Magazine zur Nacht geschoben. Hier mal ein Stück über russische Staatshomophobie bei titel, thesen, temperamente zur Geisterstunde, da mal ein aspekte-Beitrag über tote Wanderarbeiter am Rande der Piste nach elf – das muss der Chronistenpflicht genügen.“, schreibt Jan Freitag in seinem Artikel und fordert Einschaltboykott.
Zeit Online: Olympia – Sotschi im Fernsehen – Öffentlich-rechtliche Olympiahygiene
Was soll man also von Spielen halten, bei deren Vergabe eine undurchsichtige Klüngelei herrscht, die bedient wird von einem hochgradig korrupten System, das einem wirtschaftlich finanziellen Profitdiktat gehorcht, funktionierende lokale Lebensgemeinschaften und Umweltstrukturen desavouiert und vollkommen am Interesse der Menschen vorbei Macht ausübt?
Kurzgesagt: nichts.
„Das Hauptmerkmal des alten wie des neuzeitlichen Olympismus ist, dass er eine Religion darstellt“.
2014 ist dies die Religion von Macht und Geld.