Münchens Verkehrsteilnehmer sind gefrustet. Veraltete Ampelanlagen sorgen für tägliches Chaos. Wer auf diesen Straßen unterwegs ist, braucht vor allem eines – Geduld. Doch für Sanierungen fehlt das Geld. Ein Kurzbericht vom Kampf des Münchener Ampelmannes gegen das Staumonster. Und was er alles für eine Spur mehr grün anstellt.
Die Strecke vom Gasteig zum Isartor, rund 500 Meter, gespickt mit fünf Ampeln, zwei davon für Fußgänger – die meist auch dann grün sind, wenn keine Passanten in der Nähe sind.
Die tagsüber vielbefahrene Theresienstraße stadtauswärts, sieben Ampeln – deren Schaltung bei erlaubten 50 Stundenkilometern für Autofahrer bedeutet: Lichtsignal-Hopping von Rot zu Rot. Gleiches gilt für die Schellingstraße.
Die Barerstraße, in der einige Ampelanlagen mit Haltestellen der Straßenbahn zusammenfallen – und so oft kein einziges Auto bei Grün über die Kreuzung kommt.
Dazu altbekannte Staufallen wie die Kreuzung Paul-Heyse- und Bayerstraße, die Dachauerstraße und der Stachus. Nur einige Beispiele von vielen. Alltagsimpressionen. Mit Folgen für viele Autofahrer: Mehr Stopp als go, ins Gesicht gemeißelte Zornfalten, unerwünschter Kreislaufkick, Tobsuchtsanfälle. Rot, die Farbe der Liebe? Manchmal, vielleicht. Nicht jedoch in Bezug auf die Ampelschaltungen in der bayerischen Landeshauptstadt.
München City. Dort, wo sich die Paul-Heyse mit der Bayerstraße kreuzt, wurde im Mai 1927 die erste Verkehrsampel der Stadt aufgestellt. Was einst noch mechanisch die Vorfahrt der Förderwägen und Pferdekutschen regulierte, entsprach damals dem aktuellen Stand der Technik. Heute, 76 Jahre später, sind es 1100 Anlagen – auf 2272 Kilometern Straßennetz, über das sich 227.280 zugelassene Kraftfahrzeuge buchstäblich quälen. Zu diesem Schluss kommt auch eine Studie des ADAC, in der mehrere deutsche Großstädte auf ihren Grüne-Welle-Fluss getestet wurden. Das Ergebnis war vernichtend: Von acht getesteten Städten landete München auf dem letzten Platz – weit abgeschlagen hinter Nürnberg, Frankfurt oder Düsseldorf.
Doch warum funktioniert hier nicht, was sich in anderen Städten scheinbar einfach umsetzen lässt? Herr der Ampeln, zuständig für die Lichtsignaltechnik, ist Rüdiger Rau, der in diesen Tagen eine beinharte Blockadepolitik betreibt: kein Kommentar, Dünnhäutigkeit. Reiner Knäusl, Stadtdirektor und Leiter der Verkehrsabteilung, springt in die Bresche. „Wissen Sie, man kann es keinem recht machen. Schaltet man für eine Hauptverkehrstrasse eine grüne Welle, so sind die kreuzenden Straßenzüge benachteiligt. Dann dürfen die nämlich warten.“ Und der Test des ADAC sei so auch nicht ganz richtig: Pro Stadt wurden jeweils zwei Straßenzüge miteinander verglichen. In München waren es die Dachauer- und Arnulfstraße, stark frequentierte Einfallstraßen, auf denen auch Tram und Busse fahren. Und öffentliche Verkehrsmittel hätten nun mal Priorität. Anders also, als auf der gut bewerteten Eschersheimer Landstraße in Frankfurt. „Klar, dass man dort mit einer durchgehend grünen Welle auftrumpfen kann. Die haben da ja noch nicht mal Fußgängerampeln!“
Verkehrsdynamik ist ein chaotisches Prinzip – und die gezielte Kalkulation der Ampelschaltzyklen eine diffizile Angelegenheit. Ein 35-köpfiges Team der Straßenverkehrsbehörde ist dafür im Einsatz, berechnet anhand von simulierten Modellen die Ampelschaltungen. „Da kann für eine einzige Anlage ein Ingenieur schon mal zwei bis drei Wochen davor sitzen.“ Auszureichen scheint das freilich nicht: In München gibt es unzählige Brennpunkte – und das nicht nur wegen der übermäßigen Auslastung der Straßen, die schon jetzt an ihr Limit stößt. Auch veraltete Steuerungsprogramme der Ampeln tragen dazu bei, dass oft nichts mehr geht.
Herkömmliche Lichtanlagen arbeiten mit Festzeitsteuerung. Das heißt: Abhängig von der Tageszeit warten Autofahrer 30, 60 oder 90 Sekunden – unabhängig von der Verkehrsdichte. „120 Sekunden wären auch drin“, sagt Knäusl. „Aber das kann man ja keinem zumuten.“
Wesentlich innovativer ist die sogenannte „adaptive Netzsteuerung“, kurz „VnetS„. Das sind nun Ampeln, die nicht nur „mitdenken“, sondern auch miteinander „kommunizieren“. Die Schaltfrequenz dieses Systems passt sich den jeweiligen vorherrschenden Verkehrssituationen an und regelt, wer wann fahren darf. Diese High-Tech-Ampeln arbeiten autonom, sind jedoch auch zentral steuerbar. Innerhalb von Minuten lassen sich so – notfalls sogar für die ganze Stadt – die Schaltprogramme der Anlagen kontrollieren: Wenn zum Beispiel durch eine Veranstaltung oder einen schweren Unfall die einzelnen rot-grün Phasen geändert werden müssen, wird dem potentiellen Stau die geballte Rechenkraft von vernetzten Computern entgegengesetzt.
Dass diese technische Errungenschaft praxistauglich ist, zeigte ein Pilotprojekt in München-Riem. Im Jahr 2000 gingen dort rund um die Neue Messe 30 dieser verkehrsadaptiven Steuerungsanlagen an den Start. Resultat: Selbst zu abendlichen Spitzenzeiten konnte die Zahl der Stopps pro Fahrzeug um knapp 40 Prozent reduziert werden. Weitere Teilnetze dieser Art werden seitdem sukzessiv in der gesamten Stadt ausgebaut. Was gut klingt, hat jedoch einen Haken: Zwischen 50.000 und 300.000 Euro kostet so eine Anlage, die, ginge es nach Stadtdirektor Knäusl, bereits an jeder Ampelkreuzung stünde. „Aber das ist bei der maroden Finanzlage der Stadt einfach nicht drin.“ Der Etat des Signalbauprogramms für dieses Jahr wurde radikal zusammengestrichen, von 2,5 Millionen Euro im letzten auf 800.000 Euro in diesem Jahr. „Für dieses Geld bekommt man gerade mal zwei bis drei Ampelanlagen aufgestellt. Das ist nichts.“ Lösungsansätze gebe es also zur Genüge, allein am Geld mangelt es.
Und so wird noch einige Zeit durchs Land streichen, bis jeder Straßenzug mit dieser neuen Technik ausgerüstet ist. Wieder warten also, aber das sind wir ja bereits gewöhnt. Für den von der roten Welle geplagten Verkehrsteilnehmer hat der Spiritus Rector der Münchner Ampeln allerdings noch eine Botschaft. „Sehen Sie es mal so, wenigstens hat ein anderer jetzt grün.“ Sehr lobenswert dieser Akt der Nächstenliebe. Wer also das nächste Mal mit stressverzerrtem Gesicht an einer Ampel steht und nur noch rot sieht, der sollte eines nicht vergessen: All you need is love.