Das waren wir. Erinnerungen an ein halbes Jahr.

Seit du gegangen bist, ist mein Körper traurig. Weinen kann ich kaum.
Die Trauer ist tief in mir vergraben. Ich lenke mich bis zur Erschöpfung
ab, lese, bis mir die Augen zufallen, bin so abgelenkt wie möglich und
so wenig traurig wie nur irgend geht.

Unser erster Kuss hat mir nichts bedeutet, du weißt. Ich erzählte es dir
Monate später. Es war eine Laune, es war Sommer, es war eine warme
Nacht, es wurde schon wieder Morgen. Warum ich es tat, das kann ich
bis heute nicht mit Sicherheit sagen, aber ich weiß, es war nicht, weil ich
dich wollte. Nicht so. Das kam erst später. Als meine Hand frisch operiert
und verbunden war, unser erstes Wochenende. Wir verbrachten viel mehr
Zeit miteinander als geplant, aus einem Kaffee wurde ein ganzes langes
Wochenende, das letzte Wochenende des Sommers (so zumindest
erinnere ich es). Wir kannten uns noch kaum, doch etwas in meinem
Inneren sagte „vertrau ihm“ und ich vertraute dir und es war das
Selbstverständlichste von der Welt, als ich zu dir sagte „zieh mich aus“
und „zieh mich an“ und „schneide mir bitte eine Scheibe Brot“. Als du
zum ersten Mal mit mir in meinem kleinen Bett übernachtet hast, als ich
erwachte, als ich mich in deinen Armen fühlte wie im Sonnenschein. Ich
fühlte mich angekommen. Wir konnten uns danach nie einigen, an
welchem Tag unser Wir begonnen hatte, aber für mich war es klar: es
war jener, als ich morgens neben dir erwachte und mich in deiner Wärme
sonnte.

Unsere Beziehung war nicht einfach, viel gemeinsam haben wir nicht. Du
magst amerikanische Serien und ich deutsches Autorenkino, ich gehe gern
in Museen, du prinzipiell nicht. Meine bunten Socken fandest du kindisch,
ich dein Zimmer viel zu karg. Ich koche gern und wenn du wieder Nudeln
mit Pesto und Gouda essen wolltest, konnte ich mich des Gefühls nicht
erwehren, du gibst dir keine Mühe für uns. Ich mache gern Komplimente,
du warst sparsam damit und davon peinlich berührt. Es hat Monate
gedauert, bis sich unsere Körper miteinander bekannt gemacht und
angefreundet hatten.

Mir fiel es schwer zu sagen, was ich an dir mochte, dir erging es ebenso.
Ich hatte immer Hunger nach Liebe, an dir, bei dir und mit dir wurde ich
nicht satt, du hast das wohl gespürt. Ich fühlte mich ungenügend, weil du
mit deiner Zuneigung so sparsam warst, du fühltest dich ungenügend,
weil ich immer nach mehr verlangte, als du zu geben bereit warst (oder
geben konntest, ich weiß es nicht). Unzulänglichkeiten. Unzufriedenheit.
Unglück.

Ich wollte gern mit dir Alltag teilen, aber nicht Alltag für dich sein, doch
viel zu oft fühlte es sich für mich so an.

Und doch hatte ich in den letzten Wochen das Gefühl, dass wir einander
näher rücken. Eine Erinnerung, die noch ganz frisch ist: Nach einer Party
gehen wir durch die nächtliche Stadt zu dir, du schließt deine Augen,
willst von mir so heimgeführt werden. Die Löcher im Asphalt, die
Bordsteine, die Ampel, meine Beschreibung der Welt und die Geräusche
der Autos, der Passanten, der Vögel, dienen dir als Orientierung. Du
warst so konzentriert und ich meine zu spüren, es bereitet dir große
Freude. Und ich freue mich an deiner Freude und ich bin von deinem
Vertrauen so gerührt.

Und doch war die Wärme deines Rückens, wenn ich mich an ihn
schmiegte, für mich trotz allem stets viel mehr als nur dies: ein warmer
Rücken.

Mir ist zu kalt, mir ist zu warm, ich bin erschöpft, ich kann nicht schlafen.
Ich erwache so müde, wie ich am Abend zu Bett gegangen bin, an meine
Träume kann ich mich nicht erinnern, nur ihre Schwere spüren. Mein
Körper trauert, er vermisst dich schon mit aller Wucht, er vermisst deinen
Körper, deine Haut, deine Wärme. Er vermisst dich auf eine ganz eigene
Weise; er spürt genau, was ich noch längst nicht verstehen will,
verstehen kann: dass wir für immer das letzte mal Haut an Haut waren.
Dass unsere Beziehung zwar mehr als etwas Halbes, aber auch nichts
Ganzes war, dass niemand ein halbes oder ein zweidrittel Glück will, dass
das weh tut, für die eine mehr und den anderen weniger, aber letztlich
für beide.

Es ist Februar und überall sind Vögel. Es ist Nacht, es regnet. In meinem
Hinterhof singt ein Vogel wie im Frühling und das ist weniger als ich noch
vor Tagen vom Leben erwartet habe und mehr als ich mir momentan zu
erhoffen wage. Ein kleines, kostbares Glück. Über die nächtliche,
regnerische Stadt ziehen die Kraniche, sie schreien, sie kommen schon
aus dem Süden. Hoch oben, auf einem Hügel nahe beim Dorf meiner
Kindheit sitzen die schwarzen großen Raben in den Bäumen über den
Feldern, über den Disteln, über den Steinen. Hier scheint sich alles zu
schließen, ist das Regression oder bin ich am Anfang, um von hier aus
neu beginnen zu können, brauche ich diesen Punkt, um mich von hier aus
abstoßen können, alles auf Start, rewind and play.

and out through the chimney
and into the sky
the clouds they are empty
and a bird flies by

Wie du zur Begrüßung im Kreis winkst,
wie du trinkst und dann ein zufriedenes Geräusch machst wie in der
Werbung,
wie du deine Stirn in Falten legst, wie sie sich entspannt, selten aber
manchmal,
wie du beim Zähne putzen Gymnastik machst,
wie sich dein Hinterkopf in meiner hohlen Hand anfühlt,
wie du uns zum Frühstück Espresso mit Milchschaum zubereitest und Ei
und Brot und Müsli,
wie wir uns nahe sind, Hand in Hand, Bauch an Rücken und Rücken an
Bauch.

All das wird bleiben, nah und warm. Und es gibt keinen Grund, dir
wütend und von dir enttäuscht zu sein. Aber wir konnten einander kein
Glück sein. Wir waren einander ungenügend, wohl nicht einmal
ausreichend, schon gar nicht: gut. Zumindest nicht unter dem Strich,
zumindest nicht, wenn du ihn ziehst. Das habe ich verstanden. Es hat
seine Richtigkeit. Doch sehe ich es trotz allem anders, zumindest noch
jetzt; und verstehen ist nicht dasselbe wie überstehen, das sangen schon
die Sterne. Und eine Schwalbe macht noch keinen Frühling.

„Auf Wiedersehen. Wenn du magst“ hast du zum Schluss gesagt.

Lass mir Zeit.

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