Spaziergeher, Besucher und Eichhörnchen des Münchner Waldfriedhofes sehen in letzter Zeit häufig einen Schatten vorbeihuschen. Lautlos, schnell: das bin bloß ich.
Normalerweise laufe ich einfach aufs Geratewohl quer durch die Stadt, urbane Lebensräume inspizieren oder drehe meine Runden durch den Westpark. Letzterer ist allerdings besonders in den Abendzeiten und frühen Morgenstunden derart überlaufen (im wahrsten Sinne des Wortes), dass es keinen Spaß mehr macht. Als ich nach einer alternativen Route suchte, entdeckte ich den Waldfriedhof für mich. Ein riesiges Areal mit verzweigten Wegen, schattenspendenden Bäumen und dem Wichtigsten: Stille. Die frühen Morgenstunden dort sind besonders. Manchmal hängt feiner Nebel zwischen den Bäumen und alles wirkt morbide. Kurz nachdem die Eingänge in den Sommermonaten geöffnet werden – das ist ab 8 Uhr – bin ich unterwegs. Von meiner Wohnung aus ist es zunächst ein Stück über die Fürstenriederstraße entlang – lärmender, hektisch-aggressiver Berufsverkehr, Gestank nach Mechanik und Motoren. Nimmt man den ersten kleinen Nordeingang, den man leicht übersieht, taucht man sofort ab in eine andere Welt. Es ist Wald, richtig Wald! Und ich liebe Wälder. Nach ein paar Metern hört man nichts mehr von der Stadt und ein erdiger und würziger Duft zieht einem sofort durch die Nase. Die Luft ist klar und kühl und nur manchmal unterbrochen von Wolken schweren Parfums älterer Damen, die dort die Gräber pflegen und in Andacht gedenken.
Ich bin nicht unchristlich oder pietätlos. Sehe ich Menschen oder eine Gemeinschaft an einem Grab trauern, mache ich einen Umweg, sodass ich sie nicht störe. Friedhöfe sind in meinen Augen Orte der Kontemplation, des Innehaltens und der Trauer, aber auch Orte der Lebensfreude. Wo sonst mahnen uns Symbole so eindrücklich wie hier, das Leben wertzuschätzen? Wenn uns diese unzähligen Gräber etwas sagen können, dann dies: Seid am Leben und seid euch darüber bewusst, dass es vergänglich ist. Darum grüße ich zunächst immer die Toten, wenn ich laufenden Schrittes über den Gottesacker fliege und zolle ihnen meinen Respekt. Morituri te salutant – die Todgeweihten grüßen euch.
So viele Namen, hinter denen so viele Geschichten stehen, das beeindruckt mich immer sehr. Aber noch beeindruckender sind die Bäume auf dem Friedhof. Sie wurzeln in dem Grund, in dem wir unsere Verstorbenen hineingeben und erwachsen aus den Überresten der Vergangenen. Die Dagewesenen gehen also in etwas Größerem auf, sie verwesen und werden wiederum zu Lebensmaterial, das die Bäume speist, bis hinauf in die Spitzen der Kronen, deren Umfang oben so groß und ausladend ist, wie das Wurzelwerk unten, dessen knorrige Arme sich tief durch die Gräber schlagen und Tunnel für glückliche Wühlmäuse hinterlässt. Was für ein schönes Symbol für das Entstehen von etwas Neuem aus Vergangenem, das ewige Streben nach oben zum Licht. Die Seele, die Baumwipfel.
Und so sieht diese Route dann zum Beispiel aus: