Eigentlich, so dachte ich, gäbe es nur zwei Zustände für sonnengetränkte Lauftage in Sandalen ((und heute sogar mit einem Monkey von Lunasandals höchstpersönlich)) :
geil und sehr geil.
Heute habe ich die Erfahrung gemacht, dass es tatsächlich noch einen dritten, bislang unentdeckten Zustand gibt:
übelst abgefahren geil!
Meistens zeichnen sich erste Tendenzen über den weiteren Tagesverlauf schon früh ab. Begrüßt dich z.B dein Nachbar auf’s herzlichste am Morgen mit preisgekrönter Schlagbohraktion, weil er sich spontan dazu entschlossen hat die komplette Inneneinrichtung seines Badezimmers rauszureissen, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass dieser Tag nicht auf den ersten Plätzen deiner „Meine persönlichen Highlights dieses Daseins“-Liste landet.
Oder aber es passiert genau folgendes, in ungefähr dieser Reihenfolge:
1. Sonnenstrahlen kitzeln dich wach,
2. gefolgt von einem Anruf deiner schädeldeckensprengend süßen Nichte, die sagt, dass sie dich vermisst,
3. gefolgt von einem weiteren Anruf deiner noch viel schädeldeckensprengender (sofern dann überhaupt noch Restschädeldecke vorhanden ist) süßen Freundin, die sagt, dass sie dich vermisst
4. gefolgt von der allumfassenden Erkenntnis, an diesem International Barefoot Running Day-Sonntag einen voraussichtlich ziemlich coolen Lauftag mit ein paar angenehm abgedrehten Freaks zu verbringen, die alle irgendwie das selbe verbindet.
5. Amy Winehouse „Monkeyman“ in Endlosschleife
„An Ihren Schuhen wirst du sie erkennen!“
Der IBRD ist eine weltweite Veranstaltung und wurde 2010 von der Barefoot Runners Society in’s Leben gerufen. Das Ding ist ziemlich simpel: Lauft an diesem Tag bis zu 5Km mit möglichst wenig zwischen dir und Mutter Erde, im Idealfall natürlich mit nichts an den Füßen. Erklärte Ziele sollen sein, mehr Aufmerksamkeit für das Barfuß- und Minimalschuhlaufen zu gewinnen, Unterstützung zu zeigen für den Sport, den wir lieben und natürlich, um einfach nur Spaß zu haben. Treffpunkt für München war um 14 Uhr am Aumeister, einem schönen aber auch irre überfüllten ((Hallo Sonnensonntag in Süddeutschland, wohin bitteschön mit den 7,5 Millionen urbanen Auszeitsuchenden? Richtig, Biergarten!)) Biergarten an der Isar, etwas weiter im nördlichen Teil des Englischen Gartens.
Ich traf Andi, Head of „überhaupt so ziemlich alles Vorstell- und Planbare“ Lunasandals Germany, ein bereits Copper Canyon Ultramarathon-geprüfter Sandalen-Afficionado, am Odeonsplatz. Gemeinsam trotteten wir Richtung Treffpunkt durch den Englischen Garten. „Überfüllt“ als Bezeichnung für die Menschendichte an diesem Nachmittag trifft es mehr als unzureichend; „Überlaufen“ vielleicht etwas besser; „auf eine idiotische Art- und Weise mit Menschen verstopft“: Bullseye! Die ersten Kilometer in unseren Sandalen – ich in Monos, er in Venados – waren weniger gezieltes Vorwärtslaufen, als ein permanentes seitwärts Ausweichen. Und immer die Gefahr im Nacken, von irgendetwas überrannt zu werden: anderen Läufern, Fahrrädern, sehr dicken und sehr großen Menschen und sehr großen und etwas weniger dicken Hunden. Wenn die gesamte Stadt in den „Bitte-alle-jetzt-sofort-Spaß-haben-müssen!“-Modus schaltet, weil Sonntag ist und schönes Wetter, passiert genau das:
Jeder ist maximal unentspannt, eben weil jeder maximal entspannt sein will. Zumindest, was Menschenansammlungen an Flussläufen / Seen, Parks und Biergärten betrifft.
Wunderbar, denn alle drei standen auf unserer Liste.
Ab dem Seehaus und der Brücke über den Isarring wurde es allmählich ruhiger. Ich konnte mich mit Andi endlich entspannter über dies und das und vor allem jenes unterhalten, während wir durch den Park liefen. Manche Läufer grüßten und winkten uns zu, andere starrten uns an, als wären wir gerade mit einem Sitzrasenmäher über ihre Zehen gefahren. ((Was entweder daran lag, dass sie es nicht begreifen konnten, dass wir mit Sandalen liefen. Oder daran, dass wir zwei einfach verdammt glücklich aussehende Läufer waren. Oder irgendwie beides zusammen.)) Wir versuchten abzuschätzen, wie sehr Pat Sweeney, der ja bekanntlich eine ausgeprägte Vorliebe für Bier hegt bei der gegenwärtigen Münchner Biergartendichte versumpfen würde ((Die Beermile-Versuche könnten hier noch getoppt werden: eine halbe Mass in jedem Biergarten, der auf einer speziell ausgesuchten Münchner Laufrunde liegt))
Am Aumeister angekommen trafen wir dann zwei Läufer der Barefoot Runners Society: Andi #2, den sie „Tofu“ nannten und Susanne, mit ihrer Hündin Leila, die tatsächlich immer ein sicheres Pfötchen bewies wenn es darum ging, Radfahrern, Läufern und generell allem, das schneller als 4 Km/h unterwegs war in die Quere zu kommen.
Auf 8 Beinen und 4 Pfoten ging es dann auf eine plusminus fünf Kilometer lange Strecke durch den Englischen Garten. Die beiden Barefootrunners natürlich stilecht ohne Sandalen. Die ersten zwei Kilometer lief ich ebenfalls barfuß, einfach der gemeinsamen Sache wegen, wechselte dann aber wieder auf meine Lunasandals um, denn ich hatte an diesem Tag noch eine weitere Strecke vor mir.
Tofu und Susanne erzählten uns von ihren Erfahrungen mit dem Barfußlaufen. Die meisten Läufer machen das ja in der Regel nicht, weil sie sich auf einem verkorksten Trip befinden, sondern weil Schmerzen sie dazu veranlasst haben, ihren Sport grundlegend zu überdenken. Bei Susanne waren es vor ein paar Jahren Probleme in der Hüfte, die sie erst zu gestützten und gedämpften Schuhen mit Einlegesohlen trieb. Wenig später stellte sie jedoch fest, dass sie umso schmerzfreier lief, je weniger Schuh sie trug, was irgendwann dazu führte, dass sie gar keine Schuhe mehr beim Laufen trug. Nur ab- und zu ein Paar Sandalen oder wie ich, im Winter Vivobarefoots.
Tofu’s Geschichte ging ähnlich, wenngleich er zunächst damit beschäftigt war, von seinen letzten Wettkämpfen zu erzählen und Leila auszuweichen.
Ohne traniger Lobhudelei: Es ist tatsächlich sehr spannend wen man alles trifft, wenn man sich zu so einem Barfuß- und Minimalschuhlauf verabredet, ausserhalb der ganzen offiziellen Straßenläufe und Veranstaltungen, bei der die vielen Feinheiten der Personen einfach untergehen. Natürlich bestätigen sich vielleicht Klischees, andere wiederrum werden überraschend entkräftet. Was jedoch zählt ist die Tatsache, dass sich an diesem Internationalen Barfußlauftag weltweit Leute treffen, egal wie abgedreht sie sind, die im Kern das Laufen verbindet. Etwas, das sie zu friedlicheren und besseren Menschen macht. Die aufgehört haben dem allgegenwärtigen Gehirnfick der Werbeindustrie zuzuhören und ihr eigenes Ding durchziehen. Die wieder näher dran sind an sich selbst und an der wundervollen Natur und damit schätzungsweise 5000% bewusster mit sich und der Welt umgehen, als die meisten anderen iPod-Verstöpselten Hochleistungsjogger in Deutschland.
Wir werden kritisch beäugt, verlacht und mit Kopfschütteln bedacht, aber das ist egal, denn das sind bloße Hilfsreaktionen einer bis zum letzten Stammhirnatom durchnormten Gesellschaft, die sich mit Menschen konfrontiert sieht, die gewisse Konventionen nicht einfach bloß hinterfragen, sondern rigoros ablehnen. Und die dadurch nicht bloß schmerzfreier Laufen, sondern unfassbar viel Spaß daran haben.
Zurück am Aumeister quatschten wir noch eine Weile. Wir werden die Barefoot Runners zusammen mit anderen abgefahrenen Läufern in der nächsten Woche zum Munichs 1st Barefoot Run wiedersehen. Andi und ich liefen dann wieder in den Südtteil des Englischen Gartens.
Dort, im Biergarten am Seehaus lernte ich noch zwei weitere ziemlich fantastische Menschen kennen: Andis besserer Hälfte Iris und Sohn Jannik, der gemäß den allergeheimsten internen Himmelende.de-Kalkulationen innerhalb der nächsten 4 Jahre mit der Facebook-App für iOS und Android die Deutschlandrevolution™ anzetteln wird, weil er a) den dann amtierenden Bundespräsidenten einfach zu Tode liked oder b) solange anstuppst, bis er verblutet. Macht in der Sache ja nicht so den Unterschied, ist eben Revolution.
Wir tranken noch zusammen einen Russen ((für alle, die nicht Einheimisch sprechen, das ist Weißbier mit Limo)) und ließen den Nachmittag bei Breze und angeregter Diskussion ausklingen.
DAS war mal ein herrlich unkonventioneller Laufsonntag! Nicht immer die selben ausgetrampelten Pfade; neue Wege und neue Menschen kennengelernt. Spannend vor allem, weil ich sonst überhaupt kein „Gruppenläufer“ bin, sondern meine Runden regelmäßig alleine drehe. Andi und ich haben in etwa das selbe „Reiselauftempo“, das wird ganz sicher nicht die letzte gemeinsame Tour gewesen sein.
Epilog: Warum dieser Tag ein wirklich guter Tag war
Auf meiner Heimfahrt wurde ich in der Tram von einer 92 jährigen Dame (das betonte sie besonders) mit englischem Akzent angesprochen. Sie fragte mich folgende Dinge:
– „Haben Sie eine Uhr? Wie spät ist es?“ (Es war kurz nach Sieben. Ich lächelte.)
– Sie erzählte ein paar Dinge über Heinrich VIII von England, die ich leider vergessen habe. (Ich lächelte.)
– „Kennen Sie Hampton Court Palace?“, fragte sie mich. „Das ist in London, ich wohnte dort gleich um die Ecke. Ist ein bißchen wie Schloss Nymphenburg. Jetzt wohne ich hier.“
Wir mussten beide an der Haltestelle Nymphenburg aussteigen. Dort gibt es ein Altersheim. Ich hielt die Trambahntüren für sie auf.
Aber kurz bevor wir ausstiegen ergab sich folgender Dialog:
Alte Frau: „Sie strahlen so. Sie sehen sehr glücklich aus. Viele Menschen sind das nicht.“
Ich: „Schon komisch, gell? Obwohl sie eigentlich alle alles haben.“
Alte Frau: „Ja, sehr schade. Aber wissen Sie, bei ihnen,… bei ihnen scheint das aus dem Herzen zu kommen.“
Das hat mich umgehauen. Mal ehrlich: Wie kann so etwas noch wahrer oder ehrlicher gemeint sein, wenn nicht aus dem Mund eines Menschen, der seit fast 100 Jahren auf diesem Planeten lebt und in wirklich verdammt viele Menschengesichter geblickt hat?
Die Tram hielt in der Mitte der Straße, ich musste auf die eine, die alte Frau auf die andere Seite. Meinen Vorschlag, sie auf die andere Seite hinüber zu begleiten lehnte sie ab. Ich verabschiedete mich, sie hielt sie mich jedoch noch kurz am Arm fest und gab mir überhaupt den besten Tip des Tages mit auf den Weg.
„Wissen Sie, es gibt da eine Spruch, von Heinrich VIII, sie können doch englisch?“ Ich nickte. „Once I was a heavy drinker. Now I’m living on a clinker.“
Sie kicherte und ging bei Rot über die Straße. Alle Autos blieben stehen.