Mutterprivileg

Angerempelt, ach was, halb totgefahren, doch stehen gelassen worden. Statt Entschuldigung nur ein Murren, ein verbiestertes Knurren. Dann hagelts Schimpfwörter, rechts und links fliegen sie mir um die Ohren. Geh vorsichtshalber in Deckung. „Passens doch auf! Gehens halt a bisserl weiter auf d’Seitn.“ Auf meiner Hose dicke schwarzbreite Gummiradschleifspuren.
Fährt die mir also eiskalt mit ihrem Kinderwagen gegen’s Schienbein. Und über den Fuß. Diese Sozialautistin. Diese verzärtelte Husche aus dem Villenvorort. Ich bin so verwirrt, so frustriert verwirrt und kurzatmig, dass mir nichts drauf einfällt und ich mir einen freien Platz in der U-Bahn suche. Sonst stehe ich immer. Jetzt muss ich mich hinsetzen.
Eigentlich mag ich Kinder. Und ich mag Mütter. Für gewöhnlich. (Ich baue mit dieser Aussage bewusst vorweg eine positive Grundstimmung auf, benutze das quasi als heuchlerische Pufferzone, um hernach ordentlich austeilen zu können. Also links antäuschen und dann mit der Rechten voll auf die Omme.) Aber es gibt eine Kategorie Mütter, die das Privileg ihres Mutterdaseins weidlich auskosten, um nicht zu sagen: ausnutzen; diese besonderen Privilegien auswringen wie einen Schwamm, bis er leer ist und klein und verschrumpelt und zu stinken beginnt, weil er vertrocknet. Und keiner sagt was. Genau die Mütter meine ich. Und so eine fuhr mir gerade die Zehen platt.
Nach mehrmaligen Rammversuchen hat sie dann auch endlich ihren Kinderwagen in die U-Bahn hineingequetscht. Ihr breites Schmalzgrinsen versucht mich lieblächelnd gewogen zu stimmen. Schafft sie nicht. Stattdessen wendet sie sich den Anderen zu. Sagt nichts, sondern steht nur da, grinst dick und bräsig weiterhin wie ein Mondkalb, widerlich siegessicher. Hallo? Schaut doch bitte! Hallo? Hallooo! Alle bitte mal herschauen. Iiihich bin nämlich eine Mutter. Mhm. Ich genieße besondere Privilegien.
Darüber vergessen sie leider häufig genau die Fähigkeiten, die andere Menschen gesellschaftsfähig machen. Glückliches Miteinander und so. Dabei sollen ihnen ja auch bestimmte Privilegien zustehen. Kinder in die Welt setzen ist eine Sache. Sie aufzuziehen und ihnen ein akzeptables Maß an vernünftigen Grundwerten mit auf den Weg zu geben eine andere, respektable (weil aufopfernde) Sache. Wir Deutschen bekämen eh zu wenig Kinder, mehr davon ließen bestimmt nicht nur Statistiker- und Bund-der-Steuerzahler-herzen höher schlagen. Aber auf der anderen Seite (und das soll jetzt bitte unter uns bleiben) gehen mir diese speziellen Mütter, die es über alle Maßen wichtig haben ganz einfach – Entschuldigung – auf den Sack.
Jetzt, ein paar Tage später scheint all das vergessen: die Gummiradschleifspuren auf der Hose, der blaue Fleck am Schienbein, der lädierte Zeh. Hab den Ärger einfach runtergeschluckt. Jedoch grad eben im Netz, ein Pop-Up, eine Lillifee-Werbung. Da kam der ganze Scheiß wieder hoch. Dann tut das bloggen gut, um nicht in eine Duldungsstarre sozialer und moralischer Korrektheit zu verfallen, sondern sich beherzt kritisch zu äussern. Für gewöhnlich geht das auch sonst im Offlineleben prächtig. Es sei denn, man ist so erstaunt vom vierrädrigen Brutkasten, der einem langsam über die Zehen wälzt, dass man kein Wort mehr rausbekommt.

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