Der Trauerzug des Fußvolks

Ich komm viel rum in letzter Zeit. Und es hat sich viel getan, seit dem ich das letzte mal im Berufsverkehr mit S- und U-Bahn unterwegs war. Polyphone Handyklingeltöne zum Beispiel, sehr real und sehr sehr laut. Da schallt plötzlich ein Wecker, original mit Glocken wie aus alten Zeiten aus einer Jackentasche. Mal plärrt eine Frauenstimme in orgiastischer Ekstase aus dem Handy. Vorzugsweise beim Erhalt einer SMS. Und in alpenländischem Akzent. „Joa, mei, aahh, iiihh, iiih kim glei, Joa! Joa! Jetzad glei!! Aaaah, aaah, iiih kim glei!!“ Hektisch wird sogleich kollektiv in Taschen und Rucksäcken gekramt, bei ähnlich klingenden Ruftönen gleich dutzendweise. Der Handybenutzer fingert nervös an seinem kleinen Kommunikationsknecht, ihm ist das sichtlich unangenehm. Das ganze Abteil dreht sich um, verrenkt sich die Köpfe, bis er endlich dran geht. Ich frage mich: Wozu sind solch laute und darüber hinaus schwachsinnige Handyklingeltöne eigentlich gut? Eine zusätzliche Aufwertung des Statussymbols Mobiltelefon? Um noch schneller informiert zu sein, wenn ein Anruf eingeht? Oder soll man so dermaßen peinlich davon berührt werden, dass der Anruf schnellst möglich entgegen genommen wird, damit das nervtötende gebimmle, gefurze, geschnarre und gestöhne endlich verstummt? Was ist aus den smarten Menschen mit Vibrationsalarm geworden? Gibt es darüber eigentlich irgendwelche Studien?

Aus trotz lächle ich viel, wenn ich unterwegs bin. Nicht immer, aber häufig. Kein überhebliches, selbstverliebtes oder aufgesetztes Lächeln. Ich versuche einfach ein wenig Gutmenschlichkeit nach aussen zu transportieren, versuche, diesen Impuls weiter zu geben und den ganzen Madengesichtern um mich herum ein freundliches Gesicht entgegen zu setzen. Wenn man so reihum blickt, dann kann man sich einer Annahme nicht erwehren. Herrgott, geht es uns wirklich so schlecht? Ist das Leben wirklich so scheisse? Ging da irgend etwas an mir vorbei? Warum seit ihr alle so angepisst? Zum Teufel, ihr Leute habt Arbeit, ihr könnt mit dem Zug fahren, habt Zeit für Desperate Housewives und vierneunundneunzig für Jamba-Handyklingeltöne. Ist griesgrämig sein jetzt modern? Ist angepisst aus der Wäsche kucken jetzt in? Möglichst mit eingefrorener supergelangweilt Miene? Hab ich da irgendwas verpasst in den letzten Monaten?

Keine Frage, das geht natürlich an die Substanz. An meinem Zielbahnhof ausgestiegen müssen sich die Menschen, das ist locker der halbe Zug über eine schmale Treppe abwärts zwängen. Das dauert schon ein paar Minuten und die Stimmung ist echt mies. Betretenes Schweigen, starre graue Gesichter, geduckte Menschen schlürfen langsam vor sich hin. Der Trauerzug des Fußvolks wankt hinter seinem toten König her.

Gerade vorhin in der S-Bahn lächelte ich eine Frau an. Sie war hübsch und gefiel mir. Mein Alter, meine Größe. Leider schien sie recht genervt von sich, der Welt oder generell von ihrem Leben und den ganzen Spacks zu sein, mit denen sie dies teilen muß. Die Frau lächelte nicht nur nicht zurück, sie lächelte überhaupt nicht. Statt dessen wich sie meinen Blicken aus, obgleich sie heimlich aus dem Augenwinkel lurte, immer dann wenn sie dachte, ich sehe gerade nicht zu ihr. Versteht mich nicht falsch, das sollte keine billige Anmache sein. Ich wollte einfach nur ihr nettes Gesicht sehen, nichts weiter. Ihre Augen wären hübsch gewesen, hätten sie nicht so finster dreingeblickt. Natürlich erwarte ich nicht, dass jeder Mensch, dem ich begegne und aufrichtig ansehe, mir gleich vor Freude in die Arme springt. Aber ein wenig mehr positive Aufgeschlossenheit dem Nächsten gegenüber wäre absolut angebracht. Nur so ein kleines bisschen. Tut keinem weh.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.