Läuft gut

Wäre es nicht meine Geschichte um die tatsächlichen Ereignisse, die dazu führten, dass ich zu Joggen begann: ich müsste selbst weiterzappen. Denn diese Geschichte beginnt mindestens genauso verkackt verkitscht, wie die Story eines Films im Vorabendprogramm der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten. So was in der Art wie: „Junge leidet an seltener Krankheit, gefesselt an Rollstuhl, niemand behandelt ihn, Mutter verzweifelt, trifft Chefarzt, verliebt sich, Arzt heilt Jungen, Familienglück, Ende.“ Noch dabei? Respekt.

Ganz so dramatisch ist meine Geschichte dann allerdings auch nicht. Alles begann vor 18 Jahren mit einem Urlaub an der Nordseeküste. Zu dieser Zeit kutschierte unsere Familie kreuz und quer mit dem Wohnmobil durch Deutschland – mehr oder minder zum Gefallen der Kinder. An einem Campingplatz in der Nähe des Meeres machten wir für ein paar Tage Halt. Der Wind blies kalt und heftig, von weitem hörte man die Wellen rauschen. Man brauchte nur den Mund weit aufmachen und tief einatmen, schon schmeckte man das Salz in der Luft, weit hinten im Rachen, so nah waren wir am Meer. Bei meiner ersten Erkundung des Gebietes kletterte ich über eine Böschung und blickte hinab auf den langen, weiten Sandstrand. Nach links und rechts, so weit das Auge sah: die Küste, die sich im Dunst der Gischt weit in der Ferne verlor. Ich war allein, hinter mir hörte ich meine Eltern und vor mir tosendes, raues Meer. Ich zog meine Schuhe und meine Socken aus, um den nassen Sand zwischen meinen Zehen zu spüren und ging die Düne hinab zum Meer. Der Boden war so kalt, dass die Füße schmerzten und das Wasser, das sie umspülte und mich dabei weiter in den Strand einsinken ließ, so als wolle er mich langsam verschlucken, war eiskalt. Ich blickte der sichelförmigen Krümmung der Bucht nach und sah diese nicht enden wollende Weite. Mich überkam das intensive Gefühl zu Laufen. Es war ein drängendes, zappelndes Gefühl. Ich wurde übermütig, unruhig und war mir sofort sicher, von hier aus spielend jeden Punkt auf dieser Erde zu erreichen. Zu Fuß. Laufend.

Dann rannte ich los. Rannte wie der Teufel, der eisige Wind pfiff dabei noch stärker und lauter um meine Ohren, so laut, dass ich nur noch ganz leise die Brandung hörte, die Möwen und meine Mutter, die weit zurück mir etwas zurief. Ich rannte und rannte und in diesem Augenblick verlor sich alles um mich. Nur das Stechen in den Füßen bei jedem festen Tritt erinnerte mich daran, auf der Erde zu laufen.
Bald ging mir die Puste aus, ich lief jedoch weiter, mein Herz schlug mir bis zum Hals und meine Schläfen pochten. Der Boden flog unter meinen Füßen nur so davon. Dann blieb ich stehen und atmete schnell und tief. Enttäuscht blickte ich zum Horizont, dem ich scheinbar kein Stück näher gekommen war. Alles sah dort in der Ferne so aus, wie vorhin. Dann drehte ich mich um und erkannte die Konturen eines Menschen in der Bucht, weit hinter mir. Meine Mutter stand dort und winkte, was ich gerade noch so erkennen konnte. Die Entfernung zu ihr überraschte mich. Und an einem Stück lief ich wieder zurück zu ihr und hatte das Gefühl, dass nicht ich es bin, der läuft, sondern die Welt es ist, die mir entgegen kommt. Völlig aus der Puste nahm mich meine Mutter in den Arm, wuschelte mir durchs Haar und schüttelte lachend den Kopf. Ab da war mir klar: Du kannst jeden Punkt auf dieser Erde erreichen. Es dauert halt nur eine Weile.

Diese Erfahrung ist umso bedeutender, als dass sie von prophetischer Natur war. Mit Fünfzehn (da lag dieser Tag am Meer schon ein paar Jahre zurück) ging ich alleine an einem lauen Frühlingsnachmittag spazieren. Die Feldwege um die Ortschaft, in der meine Eltern wohnen sind manchmal lang und schnurgerade, Flurbereinigung sei dank. Als ich an diesem Nachmittag auf einem der Wege ging und seinen Verlauf bis zum Horizont verfolgte, überkam mich dieses Gefühl, das ich schon fast vergessen hatte: der Drang, einfach loszulaufen. Von da an schnürte ich mir regelmäßig an bestimmten Wochentagen die Schuhe und lief.
Über die Jahre vernachlässigte ich jedoch meine Passion. Arbeit, Freizeit, keine Zeit, Bequemlichkeit: es gab und gibt tausend Vorwände nicht zu laufen und meine Begeisterung war sporadisch. Für kurze Zeit packte mich dann immer wieder das intensive Verlangen nach Bewegung und ich begann dem Sog der Strecke zu folgen. Doch lies ich wieder zu schnell davon ab, die Ausnahme, nämlich das Laufen zur Regel in meinem Alltag werden zu lassen und vergnügte mich stattdessen mit allerhand Zerstreuung und Kurzweil. Bis vor einem Jahr, als ich beschloss, etwas in meinem Leben zu ändern.

Diesmal war es jedoch nicht unbedingt der Drang, einfach drauf los zu laufen, sondern eher das Unwohlsein im eigenen Körper. Unzufriedenheit, Unausgeglichenheit und noch eine Menge anderer Un-Wörter, die schlussendlich dazu führten, dass ich seit Mitte 2007 recht regelmäßig die Laufschuhe anziehe. Was mich selbst noch ein wenig überrascht, bin ich in sportlichen Dingen sonst eigentlich ein eher unsteter Charakter.

Seitdem ist alles gut gelaufen. Manchmal laufe ich gegen Depressionen und für das Glück. Manchmal gegen Wut und für Seelenfrieden. Und neuerdings auch gegen Amerika und für Europa, für den Mac oder für Deutschland. Auf jeden Fall aber immer für den Spaß. Aber dazu ein ander mal mehr.

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