Fucking proud to have the Oktoberfest

Hatten wir früher nicht mal so etwas wie Herbst? Und heute: Vom Sommer direkt in den Winter, der Übergang scheint nahtlos. Bäume schütteln ihr gelbgestreiftes Laub ab. Und das in einem atemberaubenden Tempo, wie neuerdings sonst nur bayerische Ministerpräsidenten von ihren Stühlen geschüttelt werden. Wobei Erwin Huber dann noch einen Tick schneller war als Mutter Natur. Sein Parteivorsitz ist schon passé, noch bevor das sommermüde Blattwerk den Boden überhaupt erst berührt.
Ja, der Herbststurm ist ein gerechter, kalter Geselle: Mahnt er nicht nur vor dem kommenden Winter und treibt nicht nur manch welkes Eichen- und Erlenblatt vor sich her; er fegt auch die CSU-Obrigkeit aus ihren Ämtern.
So legt die Spätherbstsonne blasse „50% + x“-Erinnerungen über Wiesen und Wege. Während draussen vor der Parteizentrale die Nacht ihren Mantel ausbreitet und die Medienmischpoke sich die Nasen an den Fensterscheiben platt drückt, um bei den bevorstehenden Diadochenkämpfe möglichst mittendrin, statt nur dabei zu sein, macht man es sich drinnen in der warmen Stube schon mal gemütlich, rückt Stühle zusammen (oder auseinander) und reibt sich gespannt die Hände am Kaminfeuer.

Also wird’s Winter. Ganz langsam. Gedanklich noch im Sommer verhaftet, steckt mein Körper nun in den dicksten Klamotten, die der Schrank hergibt. Kommen jetzt schon Glühweinstimmung und Jahresrückblickshowgefühle auf, greife ich damit aber sicher zu weit vor. Nur geht es mir dieses Jahr irgendwie zu schnell. Mit dem Verschwinden der heissen Tage noch nicht abgefunden und mit dem Heraufziehen der Kalten noch nicht angefreundet. Da empfiehlt sich ein Spaziergang über das Oktoberfest. Liegt ja quasi gleich hinterm Haus. Der vorletzte Wiesntag bringt herrlichen Sonnenschein – und gefühlte zwei Millionen Besucher aus aller Welt. Gab es jemals ein Babel: Es war in seiner Urform der Münchner Wiesn sicher nicht unähnlich. Französisch, Spanisch, Kroatisch, Griechisch, Chinesisch und andere Sprachen, die ich noch nie in meinem Leben zuvor gehört habe werden wild durcheinander gebrabbelt. Einmal im Jahr bricht hier der totale Wahnsinn aus. „Ozapft is!“, brüllt der Oberbürgermeister und alle kommen sie. Aus der ganzen Welt. Von der Preisgestaltung und dem ganzen Hype kann man halten, was man will. Einzigartig ist hier jedoch die Völkerverständigung, die – je nach Alkoholisierungsgrad – mal gut, mal schlecht verläuft. Irgendwie kommt man jedoch immer zusammen. Es gibt keinen anderen Ort auf dem Planeten, an dem das Prinzip „Biergarten“ so funktioniert, wie hier. Der Wirt lässt „Ein Prosit!“ spielen (das macht er möglichst oft, denn pro „Prosit!“ fließt eine ziemlich exakt kalkulierbare Menge Bier in die Kehlen und damit Geld in seine Taschen). Das ist der Moment, in dem man von aussen aufgefordert wird mit den anderen Menschen am Tisch in Kontakt zu treten. Mal bleibt es dabei lediglich beim Zuprosten, oft kommt jedoch auch schnell ein Gespräch zustande. Das Bier senkt dazu die Hemmschwelle und man stellt nach ein paar Minuten überrascht fest, wie man sich mit Händen und Füßen gestikulierend mit diesen Fremden verständigt, mit denen man sonst niemals ins Gespräch gekommen wäre.
Die soziale Komponente des Phänomens Wiesn kann gewaltig sein. Das scheint auch ein junger Amerikaner neben mir verstanden zu haben, der sich mit einem bierseeligen Lächeln irgendwann zu mir dreht und mir ins Ohr brüllt: „Man! You can be so fucking proud to have the Oktoberfest!“

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