Die Absurdität der Bewegung

Manchmal komme ich während des Laufens auf Ideen, die ich mir unbedingt merken und notieren will, die ich aber später dann, nachdem ich wieder zuhause bin, verlege. Ich sage bewusst nicht „vergesse“, denn diese Ideen zirkeln weiter in meinem Kopf herum, kommen bloß dummerweise erst dann wieder zum Vorschein, wenn ich Laufen gehe. Also nehme ich mir wieder vor, sie zu merken und zu notieren und erreiche ich dann die Haustüre – puff! – sind sie weg. Das ist ein irrer Teufelskreis von guten Ideen und deren temporären Verlusten, bzw. Verlegungen; vergleichbar mit einer Art Erinnerungsinkontinenz: Ich kann den Scheiß einfach nicht halten. Aber ich schweife ab.

Folgend also eine Feststellung, die mindestens drei Läufe lang gereift ist und nun – endlich! (Sie merken den feierlichen Unterton) – festgehalten wurde.
Wenn ich länger unterwegs bin, dann passiert es manchmal, dass ich einen tranceähnlichen Zustand erreiche. Ich weiß zwar nicht, wie sich so ein Zustand in Wirklichkeit anfühlt, ich war noch nie in Trance, stelle ihn mir aber ziemlich bedeutend und ungefähr so vor, wie ich ihn beim Laufen manchmal erlebe.

Die Umgebung verblasst, tunnelt und krümmt sich zu einem Punkt; die Gedanken sind ganz klar und gebündelt wie ein Laserstrahl und ich denke an nichts spezielles, alles fließt so dahin. Der Atem, der Rhythmus, der Sog der Bewegung, die Mechanik des Körpers, der arbeitet, schwitzt, stinkt. Das ist sehr meditativ und beruhigend. Besonders in dieser Jahreszeit erreiche ich den Zustand leicht, wenn die Haut vor Kälte sticht und die Landschaft in einem kontrastlosen augenbetäubenden Weiß vor einem verwischt.

Soweit nichts besonderes, das Kuriose kommt erst, passen Sie auf. Manchmal, ganz selten, bevor ich diesen Zustand erreiche passiert es, dass sich das Laufen, die Bewegung selbst unnatürlich, ja richtig absurd anfühlt. Damit meine ich nicht, dass der Grund, weswegen ich jetzt Laufe sich unsinnig anfühlt, sondern das Laufen selbst absolut keinen Sinn mehr ergibt. Ich weiß nicht wie ich es anders versuchen soll zu erklären, als mit folgendem Bild: Man nimmt ein ganz gewöhnliches Wort und wiederholt es lange Zeit laut. Sagt man zum Beispiel zwanzig mal hintereinander das Wort „Gurke“, so klingt dieses Wort mit der Zeit schrecklich absurd.

Und so ist es auch mit der Bewegung des Laufens. Ich erlebe, wenn ich lange unterwegs bin manchmal eine kurze Phase, in der diese Bewegung des Laufens total absurd, fast lächerlich ist. Ich muss dann kurze Zeit ernsthaft damit kämpfen, richtig zu laufen, die Füße gerade nacheinander aufzusetzen. Das passiert zum Glück nicht oft und wenn, dann dauert es auch nicht lange. Doch wenn es passiert, geniere ich mich und habe Angst, jemand könnte mir in diesem Augenblick zusehen und mich für komplett bescheuert halten, wie ich so eigenartig dahinstakse.

Ich denke an buddhistische Mantras, das Beten des Rosenkranzes, japanische Teezeremonien und frage mich, wie das kommt, das manche Sachen durch ständige Wiederholung, wenn nicht absurd, so zumindest eine eigenartige Transzendentalität erreichen? Warum erscheint in der permanenten Repetition der spirituelle Charakter einer Tätigkeit?

Ernsthaft, fragen Sie sich das jetzt ruhig. Und dann stellen Sie sich bitte vor, dass Sie mit dieser Idee und millionen zugehöriger Überlegungen, die alle mindestens genau so gut, wenn nicht sogar besser sind, noch sechs Kilometer zurück nach Hause laufen müssen.

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