Stundenprotokoll, im Wartezimmer. Szene 01: Männer lesen Audi-Magazine, Frauen Cosmopolitan. So verteilt sichs, denke ich mir. Die einen, die tragen blau und spielen mit Autos und später dann Krieg. Und die anderen, die tragen rosa, ziehen Puppen an und können im Regelfall nicht werfen.
Also: Bedrückende Wartezimmerstille, nur wenige Menschen, zusammengepfercht in einer Atmosphäre des Schweigens. Hier gilt nur eine hohe Kunst: möglichst geräuschlos Seiten mit Rezepten aus Magazinen zu reissen. Die Frau neben mir trägt schweres Frauenparfüm; so eines, das betagte Frauen halt tragen, wenn der Charme der Jugend seit mindestens drei Jahrzehnten verweht ist. Aber das wollen sie nicht zugeben, warum denn auch, ist ja ihr gutes Recht, ab einem gewissen Alter darf man stinken und man darf darüber erhaben sein. Und dann meinen sie es besonders gut mit der Parfumdosierung und versuchen, was die verdörrte Blüte jugendlicher Ausstrahlung eben nicht mehr hergibt olfaktorisch mit Moschusduft zu übertünchen. Es kräuselt und juckt in meinem Riechkolben, meine absterbenden Geruchssinneszellen verbuche ich später als Kollateralschaden, während sich über den Köpfen eines innig busselnden Pärchens mir gegenüber Hormonwolken bilden, die langsam aufsteigen. Hüben bekomm ich olfaktorisch eine geklatscht, während drüben in Oralseen getaucht wird.
Der Duft des Parfums kratzt in meinem Hals. Als ich mich räuspere, riskiere ich den ersten kritischen Blick. Stehe also auf, gehe zu dem Wasserspender und lasse mir ein Becher raus. Wasserspender gluckst, Wartezimmerlautsprecher schnarrt: Frau Hartmann bitte. Betagte Dame mit ausgelaufener Parfumflasche steht auf und geht. Gestank bleibt. Ich setze mich, beobachte die andere Frau links neben mir. Sie studiert stolz die Bedienungsanleitung ihres neuen Handys. Das interessiert mich, warum weiß ich auch nicht genau. Nun krame ich in meiner Tasche, will auch etwas stolz sein und ziehe einen Liebesbrief meiner Freundin heraus. Beziehungsanleitung. Die riecht auch nach Parfum, aber gut. Ach Quatsch, es riecht Millionen Nasenlängen besser, als dieser Nuttendiesel von vorhin. Würde mich eine der Damen um mich herum nur einigermaßen aufmerksam betrachten, sie sähen in mein strahlendes Gesicht. Ein breites Grinsen, vor Freude. Und eine Nase, die andächtig am Liebesbeweis schnüffelt. Kleines Wartezimmerglück in Langeweile.
Dann: Wartezimmerlautsprecher schnarrt erneut, Name wird ausgerufen, Abgang.
Nice 🙂
Jupp, find ich auch: sehr schön 🙂
Danke. Ist aber wirklich nur ein kleiner Appetizer.