Die Welt ist komisch. Aber lustig ist sie nicht.

Das allgegenwärtige, schönfärberische Gequatsche

In einem Land, in dem Wohnanlagen für alte Menschen Seniorenresidenzen genannt werden, möchte man alt werden! Ein König residiert gar herrschaftlich, in einer noblen Eremitage, einem aparten Schlößchen, wahlweise auch in seiner Sommerresidenz. Unsere Gesellschaft hat — wann genau, das weiß leider niemand mehr — damit begonnen, Alter, Krankheit und Tod aus ihrer Mitte zu verbannen, gedanklich und körperlich. Alte Menschen werden sediert und weggesperrt, das ist die Abstellgleisangst. Und doch wird krampfhaft versucht, es maximalfein umzutiteln. Seniorenheim, das geht noch. Seniorenanstalt, und jetzt wird’s kritisch, riecht nach dem Westflügel der geschlossenen Abteilung: Psychopharmaka, Desinfektionsmittel, Mundknebel.
Seniorenresidenz – das will man sich auf der Zunge zergehen lassen.

Ausserdem: Gute Nachricht für alle orthopädisch nicht mit glücklichen Füßen gesegneten. Plattfuß wird nicht mehr Plattfuß sondern Flachfuß genannt. Platt sind allerhöchstens plattgefahrene Eichhörnchen auf Bundesstraßen. Lasst uns so tun, als ob die Fläche nicht minder platt wäre.

Das jetzt wirklich absolut allerneueste iPad

Wenn neue Produkte großflächig beworben werden, befindet sich meist in kleinstgedruckten Zweipunkt-Buchstaben ein Hinweis darunter. „Farben können abweichen“, „Angebot gilt nur für folgende Tarife“, „Nur solange Vorrat reicht“, „Lieferengpässe möglich“. Letzteres ist unter den „Das neue iPad“-Plakaten zu finden.

Großartig! Was für ein schöner Kniff, um den Marktstart rechtlich wasserdicht zu machen. Das iPad ist so schädeldeckensprengend begehrt, dass es zeitweise zu Lieferengpässen kommen kann. Da wird den von Konsumgier und Neuerungssucht getriebenen Herzen ordentlich Luft aus den Segeln genommen, sollten sie heulkrampfartig einen Anwalt herbeizitieren wollen, wenn das versprochene Objekt der Begierde schon aus ist, bevor es überhaupt da ist. Eine Spaßbreme, wer da noch über die Arbeitsbedingungen bei Foxconn und anderen Technik-Zulieferbetrieben in Fernost debattiert.

Dynamisches Verhältnis zwischen Russland und Deutschland

Wie Sie sehen, sehen Sie nichts. (Und warum Sie nichts sehen, werden Sie gleich sehen.)
Vergangenen Samstag trafen sich Vladimir und Angela. Sie redeten über dies und das und vor allem jenes, sie redeten über Syrien, sie umarmten sich, wie zwei Gestrandete sich umarmen. ((Von einer durchwachsenen Beziehung zu sprechen gefällt mir in diesem Zusammenhang besonders gut. Diese kann sich wie Wurzelwerk ins Erdreich schlagen, tief verankert und durchwachsen, die Pflanze mit Nährstoffen versorgend; aber auch ein Stück Fleisch kann  durchwachsen, also sehnig, zäh oder – wie man in Bayern sagt – flachsig [flaxig] sein))
Am Ende stand, was oft am Ende von politischen Spitzentreffen steht, die sich der Lösung eines Problems annehmen, bei dem es um erhebliche Verbrechen an der Menschheit geht:
nichts.

Was macht man also in diesen Momenten politischer Duldungsstarre? Richtig, man pocht auf die Demokratie. Als ob etwas sinnvolles dabei rauskäme, wenn man lange genug auf dieser verstaubten Flokiste herumpocht.
Dabei wissen Vladimir und Angela sehr genau: Ein alter Gaul wird nicht gleich nachdenklich, nur weil man ihn peitscht.

Unter den Länderinformationen des Auswärtigen Amtes findet man momentan ((Stand: Mai 2012, das kann sich jedoch wettervorhersageschnell ändern)) den Hinweis, dass sich die deutsch-russischen Beziehung positiv und dynamisch entwickelten.
Dynamisch, das ist überhaupt eines der großen weißen Leinwandwörter, auf das man alles malen kann. Dass sich da also etwas bewegt, darüber sind wir uns zumindest einig. Aber was genau bedeutet es in diesem Zusammenhang?

> dy’na·misch 1. TECHNIK die → Dynamik(1) betreffend, auf ihr beruhend, ↔ statisch (2) 2. schwungvoll, bewegt, voller Elan und Tatkraft, lebhaft 3. in Veränderung, Entwicklung begriffen, ↔ adynamisch, → statisch(1) 4. MUSIK die Veränderung der Klangfülle, der Tonstärke betreffend 5. sich Veränderungen anpassend

 

Es bewegt sich also etwas schwungvoll, mit Eifer und Elan. Batman und Robin waren als das „Dynamische Duo“ bekannt; eine aufgebrachte Menschenmasse (oder „wilde Konsumentenherde“, wenn es zum Sommerschlussverkauf geht) entwickelt eine gewisse „Dynamik“; die Dämpfung in Laufschuhen vermittelt dem Sportler ein „dynamisches Laufgefühl“ – klingt alles in allem wahnsinnig spannend, lebendig und schnell.
Wo sich viel bewegt, gibt es viele Reibungspunkte, das liegt in der Natur der Sache. Reibung ist per se nichts schlechtes, es entsteht Wärme, Energie. Manchmal vielleicht auch Kinder, die wiederum ganz schön viel Energie benötigen, aber das führt jetzt zu weit.

Wenn das Verhältnis zwischen diesen beiden Staaten jedoch als „dynamisch“ bezeichnet wird, kann das nur eines bedeuten: Wir unterhalten unsere Beziehungen lebhaft und schwungvoll. Wenn ihr allerdings zu sehr an unserer ausserpolitischen Haltung rummäkelt, drehen wir euch, wahlweise, den Gashahn zu oder die Exporte ab.

Überhaupt Syrien: Klar, dass Russland eine Friedensmission ((Friedensmission steht übrigens in meiner Liste der „Lieblings-Euphemismen der letzten zweitausend Jahre Christentum“ ganz weit oben)) unter Führung der UN nicht befürwortet. Putin verdient sich mit den Waffenlieferungen an das Assad-Regime dumm und dämlich. Stehen dort statt Regimetreuen- und Gegnern Blauhelme, verdient niemand. Lässt man – und jetzt wird’s richtig spannend – das Geschehen weiterhin eskalieren, werden sich auch die Rebellen zunehmend bewaffnen. Es klingeln die Kassen der Rüstungskonzerne in Washington und Moskau.

Israel stattet deutsche U-Boote mit Atomwaffen aus

Von einem „heiklen Deal“ war da die Rede, einer der großen Meldungen der vergangenen Tage.
Kommt, tun wir so, als ob wir’s nie gewusst hätten! Und jetzt meinen alle fröhlich drauf los. Vielleicht, eventuell, möglich, aber,… so genau kann oder will das niemand sagen. Und ausserdem führe man schließlich nur die Politik der Vorgänger fort.

„Die Bundesregierung steht mit der Lieferung von U-Booten an Israel in der Kontinuität ihrer Vorgängerregierungen.“

Was für ein universales Totschlagargument! Kriegsgerät bleibt Kriegsgerät, egal was, egal für wen und nur, weil eine Vorgängerregierung beschlossen hat, die Sache sei okay, macht das die Sache am heutigen Tage nicht okayer.

Die Vollzeitirren des Dritten Reichs versuchten das jüdische Volk mit Massenvernichtungswaffen auszulöschen; Hitlers Jugend sollte für den Endsieg „hart wie Kruppstahl“ gemacht werden.
Ironie des Schicksals: Heute liefert der deutsche Rüstungskonzern ThyssenKrupp ((der damals „Vorprodukte für die spätere Kriegswirtschaft“ lieferte – schön, wie sich der Wikipedia-Artikel um die Frage der Verantwortlichkeit im Zweiten Weltkrieg herumschreibt)) U-Boote an Israel, unbewaffnet versteht sich, die jedoch als Grundlage für die Stationierung von Massenvernichtungswaffen dienen „können“.

Tod ist ein Meister aus Deutschland, schrieb Paul Celan in seiner Todesfuge.
ThyssenKrupps Werbespruch: „Wir denken Stahl weiter“

An dieser Stelle muss ich mit dem Nachdenken aufhören.
Seid mir bitte nicht böse. Im Grunde denke ich jede Woche ziemlich viel nach. Besonders darüber, was mit dieser Welt nicht stimmt.
Die letzten Tage hatte ich kognitiv wirklich viel zu tun.

Da fällt es eigentlich nicht mehr großartig in’s Gewicht, dass andernorts ein nackter Mann ein Gesicht verspeist (von einem Lebenden wohlgemerkt); Ehefrauen im Garten enthauptet werden, ehemalige Pornodarsteller Chinesen zerstückeln und aus toten Katzen Hubschrauber gebaut werden.

„Wenn der Mensch spinnt, gibt er Zeichen.“

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