Es braucht eigentlich keine große Magie um uns morgens glücklich zu machen. Kalter Kaffee mit Eiswürfeln. Das ist alles. Das ist nicht viel verlangt. Deutsche Kaffeehäuser haben das bis heute nicht geschnallt. Geh mal zu Tchibo und frag nach einem kalten Kaffee. Die schauen dich an, als würdest du Flyer für pro Streubomben verteilen. Es ist 2017 und in München bekommst du höchstens bei Starbucks oder Dunkin’ Donuts einen kalten Kaffee mit ganz pragmatischen Eiswürfeln. Aber alles der Reihe nach.
Pegelstände beobachten. Starker Kaffee und Pegelstände beobachten.
— Sebastian Herold (@himmelende) July 27, 2017
Auf der Pegelstände-App. Tolle Erfindung. Endhaltestelle Geltendorf. Es gibt warmen Kaffe, weil: Endhaltestelle. Tarifgebiet 3. Zone, das liegt am Rand ganz links aussen. Soweit links, dass es fast in ein anderes Bundesland fällt. Aussenraum. Innenraum. MünchenXXL. Übergangsbereiche. Zonen. Ringe. Unsere Tarifstruktur: komplex. Das ist auch ein Schimpfwort: die Tarifstruktur des MVV. Das Schlimmste, was dir in München passieren kann ist, dass du Touristen erklären musst, wie das Tram- und S-Bahnnetz hier funktioniert und welche Fahrkarte sie lösen müssen. Das kriegst du nicht vermittelt, egal wie viele Fremdsprachen du flüssig sprichst. Den Touristen ist das egal. Sie deuten es falsch, hundertprozentig. Nehmen an, die Hilflosigkeit vorm Fahrkartenautomat sei Bestandteil der vermeintlich stoischen Ruhe der Bayern, dieser berüchtigten Gemütlichkeit. Unter uns: Wir haben einfach selbst oft keinen Plan vom Plan. Ja mei.
Wir fahren. Vom äußersten Bezirk des Zonengebietes nach innen, so die Richtung. Wir freuen uns. Im Regionalzug gibt es immer was zu sehen. Im Regionalzug gibt es immer nichts zu sehen. Fahr mit dem Zug, wenn du einen ehrlicheren Eindruck von einem Land bekommen willst. S-Bahn, U-Bahn, bei beiden gibt es auch was zu sehen aber häufig Unterbrechungen. Regionalbahnen, weil Menschen erst ab einem gewissen Punkt, wenn sie aufeinandersitzen und nicht mehr auskönnen interessant werden.
Der Mann neben mir riecht wie verwitterndes Laub als sei er heute morgen aus der Erde und nicht aus dem Bett gestiegen.
— Sebastian Herold (@himmelende) July 27, 2017
Es kommt auf die Uhrzeit an, welchen Menschentyp du in Zügen triffst. Wir sind umgeben von: Touristen, Arbeitern (Spätanfängern), Klapprigen, Klappfahrradfahrern, Kindern.
Wir stinken, uns ist heiß. Wir sind genervt, wir sind gelangweilt. Wir sind beides: genervtgelangweilt. Vom Aufeinandersitzen generell. Vom Drinnen / Draussen-Dualismus speziell: a) Das schlierenziehende Draussen, diese Natur mit ihrer prächtigen Üppigkeit. Macht vielen ein schlechtes Gewissen hier drin. Die kucken dann auf ihre Smartphones, auf die Reiseblogs. Uns macht das Schlierenziehende glücklich. b) Das hirnarretierende Drinnen, die staubige Hitze, gesenkte Köpfe. Alles sehr müde, sehr.
Die Frau vor mir bedauert ein nicht stattgefundenes Treffen in ihr Telefon und wirkt auch sonst sehr bedauerlich.
— Sebastian Herold (@himmelende) July 27, 2017
Es ist nicht mehr ganz früh aber auch nicht ganz spät. Wir sagen nicht: Es ist halb Zehn am Morgen weil, dann legt man sich fest. Legt man sich bei Uhrzeiten fest dann fixiert man was. Z.b wir sagen 21:45 Uhr und Sie denken, heute Journal. Wir sagen, morgens halb Zehn in Deutschland, und Sie denken, Knoppers. So läuft das. Es kommt auf die Uhrzeit an. Aber wir benennen sie nicht. Alles sehr kontextabhänging, sehr.
Spielende Kinder in der eigens dafür vorgesehenen Kinderspielecke werden gerügt. Denke über das Wort rügen nach.
— Sebastian Herold (@himmelende) July 27, 2017
Wir unterhalten uns. Bei uns sitzt: eine Reisegruppe. Zweimal weiblich, einmal männlich. Sie: Texanerin. Kreuzträgerin. Blond. Bauchfrei. Sehr pneumatisch, sehr. Wo sie schon überall waren?
„Neu-Schwanzstein.“
„Neu-Schwanzstein? That’s funny because you pronounced it like… dick.“
Sie ist bemüht, sie wiederholt.
„Noi-Schwonzstain.“
„Yeah, that’s… better.“
Im Abteil wird es fünf Grad kälter. Ein Gespräch scheint beendet, noch bevor es richtig angefangen hat. Schade, eigentlich. Wir stellen fest: Menschen aus dem Bible Belt finden Wortvergleiche mit Schwanz eher nur so halbtoll.
Aber die Reisefrau ist hartnäckig. Hakt nach.
„What do we have to visit here in Bavaria? In Munich?“
„Bavaria is nice when you are much into churches. Like, Ikonen, Monstranz, the Jesus stuff. I’m not so much into churches.“
Synchrones Nachdraussenschauen.
„And places you have to visit in Munich? Beer garden.“ Weil das mit dem vergorenen Malzsud aus Literbechern unter Bäumen trinken generell gut ankommt, bei Touristen. Zustimmung. Lachen. Bereits abgehakt.
„Cars? If you are more into Verbrennungsmotor and Aluchassis, then you have to visit the BMW World. More into culture? Art? Then the Pinakotheken.“ Jaja.
Wir sparen aus: Feldherrnhalle, Kaufingerstraße, Englischer Garten. Wir sparen nicht aus: Isarauen, Glockenbachviertel, Mittlerer Ring. Letzteres wird nicht verstanden.
„When you want to see the madness of our time then you have to see the hundreds of thousands of Pendler with their exhausted, angry faces. Every morning, every evening, all together standing in the traffic jam. And everyone isolated for themselves.“ Wir wollen etwas von Scharniggs grantgewordener Münchenobservation in die Welt tragen. Wir klingen wie Werner Herzog.
Über den Facettenreichtum der Menschen in deutschen Regionalzügen ließen sich Bücher schreiben. Aber, ach…
— Sebastian Herold (@himmelende) July 27, 2017
„Sehr geehrte Damen und Herren. In Kürze erreichen wir Pasing Bahnhof.“
Wir werden erinnert. Wir müssen gehen.
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Carmen Schnitzer
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Isolde Hien
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Bene Bauer
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Linus Reich
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Claudia Schirduan
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