Nachhaltig, nachhaltiger, am nachhaltigsten Über H&Ms Conscious Collection

Vanessa Paradis H&M WerbungIn den Städten ist es nicht zu übersehen: Vanessa Paradis wirbt derzeit großflächig für das schwedische Bekleidungsunternehmen H&M. Sie trägt, was würde näher liegen, Hemden und Hosen mit paradiesischen Urwaldmustern, versteckten Tukanen, Palmwedeln und etwas, das entfernt an Lilien erinnert.1 Die Aufmerksamkeit richtet sich jedoch auf das, was unten links zu lesen ist: H&M Conscious Collection – Nachhaltigere Mode.

H&M benutzt also die erste Steigerungsstufe. „Nachhaltigere Mode“, so als ob die bestehende Kollektion bereits nachhaltig sei und jetzt eben noch eins draufgesetzt wird. Nachhaltiger gehts (fast) nimmer.

„Die Conscious Collection ist Teil des Engagements von H&M für mehr Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeit in der Modewelt. Das Unternehmen soll wirtschaftlich, sozial und ökologisch nachhaltiger agieren. Der Begriff der Nachhaltigkeit ist demnach wohl das Schlüsselwort – ein sehr weitläufiges Wort. Was bedeutet Nachhaltigkeit für H&M also? Für die Conscious Collection verspricht H&M die Verwendung von nachhaltigen Materialien wie Bio-Baumwolle, recycelter Wolle oder Bio-Hanf und verpflichtet sich zur Einhaltung ethischer und klimaschonender Kriterien.“2

Man darf sich jedoch nicht darüber hinwegtäuschen lassen, dass die Mehrheit der Kleidung nach wie vor mit konventioneller Baumwolle gefertigt wird. Auch sollte meine Kritik nicht in das Fach „Man kann aber auch alles schlechtreden“ abgelegt werden; ich denke nur, dass diese Steigerungsform der nachhaltigeren Mode unangemessen übertrieben ist und in mir impliziert, der Rest sei okay, schon an sich nachhaltig genug, damit die neue Conscious Collection noch nachhaltiger dargestellt werden kann. Da wird dem grünen Anstrich noch ein weiteres dunkleres Grün hinzugefügt.

H&M gibt sich dennoch in seiner neuesten Kollektion nachhaltig. Dabei können sich die kambodschanischen Näherinnen, die für den Moderiesen produzieren von den niedrigen Löhnen kein gesundes Essen leisten und leiden unter Mangelernährung. Wo bleibt da die zur Schau getragene „Consciousness“?

Unter dem Titel „Unconscious Collapses“ haben INKOTA und die Kampagne für Saubere Kleidung eine Adbusting-Aktion gestartet: Ziel ist es auf die miserablen Arbeitsbedingungen und die viel zu geringe Entlohnung der ArbeiterInnen in asiatischen Textilfabriken hinzuweisen.

Der Kurzfilm „Schluss mit den Ausreden – Ein Lohn zum Leben“ zeigt, dass der Lohn, den NäherInnen in den Bekleidungsfabriken erhalten, nicht für ein würdiges Leben ausreicht.

Conscious Collection – Nachhaltigere Mode

Es entspricht einer zeitgemäßen Vorstellung, dass man sich „freishoppen“ kann, hin zu einem nachhaltigen Konsum, gemäß der Denkweise, man müsse nur lange genug die „guten“ Produkte kaufen und alles sei tutti.

„Dir kann man aber auch nichts recht machen!“, „Du bist schrecklich mit deinem Zynismus!“ – Dinge, die ich mir bei dieser Art von Kritik oft anhören muss. Versteht mich nicht falsch, ich will nicht immer jedem alles madig reden. H&M entwirft sicher schicke Klamotten, Apple Produkte mit tollem Design, Nike Schuhe mit abgefahrenen Farben und Ferreros Nutella schmeckt einfach leider geil.
Was mich allerdings extrem an dieser Entwicklung stört ist, dass die Branchenführer und Weltkonzerne, die über eine derart idiotisch große Markt- und Kapitalmacht verfügen, dass sie schon gar nicht mehr wissen, wohin mit dem ganzen Geld, sich moralisch keine Sekunde lang verpflichtet sehen, sich mit den von ihnen verursachten Problemen in irgendeiner konstruktiven Art und Weise auseinander zu setzen.

Was wäre denn, wenn Nike ein paar beschissene Prozent seines gigantischen Werbeetats abzweigen würde, um den chinesischen und kambodschanischen Arbeiterinnen ihrer Fabriken, die wegen den kanzerogenen Klebstoffen ihrer Produkte reihenweise an Brustkrebs erkranken, an einer ordentlichen medizinischen Versorgung teilhaben lassen?
Stattdessen blasen sie weitere Werbeikonen mit Dollarmillionen auf – die LeBron James, Lance Armstrongs und Tiger Woods dieser Welt -, verblenden damit die Massen, lassen Schuhe zu Billiglöhnen in Indonesien zusammenleimen und drucken dann nike better world drauf. Das ist Zynismus!

Deute ich das bloß falsch oder hysterisch als einen Tritt ins Gesicht der Menschlichkeit, wenn die erste Maßnahme durch Druck eines Konzerns wie Apple nach den Selbstmorden im chinesischen Foxconn-Werk daraus bestand, Fallnetze an den Aussenwänden der Arbeitersiedlungen und Fabrikhallen anzubringen? Das ist Zynismus!

Das Problem sind nicht wir, die diese Dinge konsumieren. Das Problem sind diese Konzerne, die sich nicht in der Verantwortung sehen. Mag sein, dass viele einen guten Anfang darin erkennen, wenn H&M Bio-Baumwolle verwendet, McDonald’s Tüten aus recyceltem Papier vertreibt, Apple auf Blei, Quecksilber und Arsen bei seiner Computerproduktion verzichtet und Nike… auch ganz bestimmt irgendwas wahnsinnig nachhaltiges macht.
Mir gehen diese Ansätze nicht nur nicht weit genug, ich sehe darin eine Farce: den Versuch der Firmen, sich die Aura eines lebensbejahenden, verantwortungsvollen Menschen- und Umweltfreunds zu geben, nur um in den profitablen Kerngeschäften weiter so zu wirtschaften, wie bisher.


weitere Links: „Faire Mode von H&M: Billig ist interessanter als Bio“ – Zeit Online, 10.04.2013

  1. Den kleinen zynischen Seitenhieb auf Konfliktdiamanten am Revers übersehen wir jetzt mal geflissentlich []
  2. Quelle: Modeopfer110 []

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