Nein, keine Schuh, man kann auch ohne Schuh in die Höll gehn.

Sie haben es bestimmt geahnt, jetzt ist es amtlich.
Meine Damen und Herren, wehrte Leser und Leserinnen dieses Blogs: Sie müssen jetzt bitte ganz stark sein aber, das wars! Ich höre auf! Ab jetzt! Für immer! Also quasi unwiderruflich. Egal wie viel Bestechungsgeld Sie zahlen, Überredungskunst Sie aufwenden oder mit welchen Sanktionen Sie mir drohen, es wird alles nichts helfen.

Von heute an werde ich keine Laufschuhe mehr tragen! „Ja spinnt der jetzt komplett?“, werden Sie sich fragen und Sie fragen sich zurecht, passiert ja schließlich nicht jeden Tag, dass einer keine Schuhe mehr anzieht, wenn er laufen geht. Es ist nicht, wie vielleicht viele von Ihnen denken, eine Entscheidung, die darin begründet liegt, dass meine Fontanelle noch ganz zartrosa ist. Es ist vielmehr so:

Ich bin davon überzeugt, dass das Projekt „Laufschuh“ gescheitert ist.
Seit den siebziger Jahren produziert die Sportartikelindustrie Laufschuhe und seit dieser Zeit hat die Verletzungsquote unter Läufern nicht abgenommen, sondern ist, im Gegenteil, sogar gestiegen. Dieser Umstand ist zwei Tatsachen geschuldet:

  • Einerseits laufen heute viel mehr Menschen als damals, es wird also ein viel breiteres und damit auch im Durchschnitt untrainierteres Publikum angesprochen, das zum größten Teil nicht über die nötige körperliche Gesamtverfassung verfügt, um dieser Dauerbelastung standzuhalten.
  • Moderne Laufschuhe senken nicht das Verletzungsrisiko sondern erhöhen es, da sie dem Menschen durch ihre Formeigenschaft einen Laufstil aufoktroyieren, der gegen die normale biomechanische Arbeitsweise der Gelenke wirkt und diese zusätzlich belasten.

Es geht bei der ganzen Diskussion um zwei Varianten, wie der Fuß beim Laufen aufsetzen kann. Daniel Liebermann, Professor für humane Evolutionsbiologie an der Harvard University demonstriert das sehr anschaulich mit ein paar Beispielvideos auf dieser Seite. In diesem Video hier wird eine Zusammenfassung des Themas gegeben:

Moderne Laufschuhe verleiten einen beim Laufen, so mit dem Fuß aufzusetzen, wie man sonst nur geht: mit der Ferse. Das ist bequem, da man sich beim Laufen nicht besonders anstrengen muss und gemütlich vor sich hinschlurfen kann, hat aber den entscheidenden Nachteil, dass sich die gesamte Energie, die beim Aufprall entsteht, direkt auf Knie- und Hüftgelenke überträgt. Da ausser dem bisschen Gel oder Schaumstoff in der Sohle, das die Aufprallenergie absorbieren soll, bei dieser ausgestreckten Beinstellung sonst kein abfederndes Element vorhanden ist, ist die auf die Gelenke ausgeübte Kraft enorm. Stellen Sie sich einen Hammer vor, der mit dem zweifachen des Körpergewichts tausendmal pro Lauf auf die Ferse schlägt, dann haben Sie ungefähr eine Vorstellung von der Belastung.
Ausserdem sind Laufschuhsohlen im Fersenbereich meistens dicker als im Vorder- und Mittelfußbereich. Im Fachjargon wird das als „Sprengung“ bezeichnet. Je höher die Sprengung, desto höher das „Gefälle“ im Schuh. Ergebnis ist, dass der Körperschwerpunkt von der Ferse, die perfekt gemacht ist, um das gesamte Gewicht beim Stehen zu tragen auf den Mittelfuß verlagert wird, der für diese Belastung auf Dauer nicht gedacht ist. Der Fuß knickt verstärkt nach innen ein, er „überproniert„, was eine starke Belastung der Sehnen, Bänder und Gelenke zur Folge hat. Ausserdem nehmen wir durch zusätzliche Stützelemente, die in die Schuhe eingearbeitet sind dem Fuß auch noch die restliche Stützarbeit ab, die er eigentlich selbst verrichten soll und muss. Muskel sind Gewohnheitstiere, sie passen sich der jeweiligen Belastung an. Schont man die Fußmuskulatur förmlich „zu Tode“, sprich, man bietet ihr permanente Unterstützung an, denkt sie sich bald: „Hey, warum soll ich dann überhaupt noch etwas machen?“, und fängt an, sich langsam zurückzubilden. Jeder, der sechs Wochen Gips hinter sich hat, weiß das.
Alles in allem tun wir unseren Füßen mit diesen High-Tech Ufos keinen großen Gefallen.

„Du hast Schmerzen? Du hast den falschen Schuh!“
Das ist die Argumentation der Werbung und sie ist falsch. Es ist interessant zu sehen, wie viele Menschen sich scheinbar nur darüber Gedanken machen, wie viel Geld sie für ihren neuen Laufschuh ausgeben sollen, sich aber keine Sekunde fragen, wie sie eigentlich laufen und schön fleissig ihr ganzes Gewicht in die Ferse stampfen. Machen Sie doch mal einen ganz einfachen Versuch: Ziehen Sie sich bitte die Schuhe aus und versuchen dann so zu laufen, wie sie sonst mit Schuhen laufen. Nur ein paar Meter. Keine Chance, nach vier Schritten brennen die Knie wie Hölle. Unsere Vorfahren sind damals sicher nicht so durch die Steppe gelaufen, weder vor Löwen weg, noch Antilopen hinterher.

Es ist also nicht eine Frage des richtigen Schuhs, sondern eine Frage des richtigen Laufstils. Die Sportartikelindustrie konnte ihr Versprechen, die Füße und Beine der Läufer mit Kunstleder und Gelkissen vor Verletzungen zu schützen nicht halten.
Um Laufen zu können, brauchen Sie Schuhe? Falsch, um Laufen zu können brauchen Sie Füße. Man benötigt keine 160 Euro teuren Plastiktreter, die einem noch dazu den falschen Laufstil antrainieren. Alles was man benötigt, kommt quasi eingebaut ab Werk. Denn die beste Technik haben Sie bereits von Geburt an ihren Füßen. Und es kostet sie nichts.

Das hier ist ein Selbsterfahrungsbericht und ich bin auf keiner Mission. Jeder kann für sich selbst entscheiden, wie er läuft und was er alles dazu benötigt, das ist okay. Ich bin kein Apologet und ich schreibe hier über dieses Thema, weil ich davon überzeugt bin und nicht, weil ich irgendein heilversprechendes Buch gelesen habe oder neuerdings einer Sekte beigetreten bin, die Barfusslangstreckenlauf mit eigenartigen sexuellen Riten kombiniert – wobei das sicherlich ein Spaß wäre. Ich laufe seit ein paar Jahren sehr regelmäßig Langstrecke, also 10 Kilometer und mehr. In den letzten zwei Jahren bekam ich zunehmend Probleme: Schmerzen in der Hüfte und Leistengegend, im Mittelfuß, ein Schienbeinkantensyndrom, das sich gewaschen hat, und so weiter. Dabei hatte ich „gute“ Schuhe und die Ärzte wussten keinen rechten Rat, schickten mich von MT zur CT, verschrieben mir letale Dosen Voltaren, Dicolfenac, Ibuprofen, die ganze schmerzbetäubende Bandbreite pharmakologischer Wundermittelchen, deckten mich mit Besserungswünschen ein und rieten mir gleichzeitig, das mit dem Laufen doch noch mal zu überdenken. Der Orthopäde verordnete mir speziell angepasste Einlagen, da ich nach seiner Auffassung wie blöd in alle Himmelsrichtungen und tiefen des Raumes proniere. Und all das half am Ende: nichts. Nach zwei Jahren stand ich exakt dort, von wo aus ich begann. Kein neuer Laufschuh half mir, meine Schmerzen in den Griff zu bekommen, keine neuen Einlagen und kein neues Arzneimittel. Also machte ich das in meinen Augen einzig Sinnvolle: Ich ließ von nun alles weg (okay, bis auf die Hosen).

Vor ein paar Monaten machte ich dann eine entscheidende Erfahrung. Ich drehte im Park vor meiner Haustür meine Runden. Gegen Ende der Strecke krochen langsam wieder die Schmerzen herauf, mit denen ich seit Jahren kämpfte. Ich hielt an, zog meine Schuhe aus, meine Socken und lief die letzten Kilometer barfuss nach Hause. Das ist das erste mal verdammt eigenartig, denn man fühlt sich so, als ginge man mal eben schnell ins Bad oder ins Wohnzimmer; es hat etwas häusliches, fast schon intimes, mit blanken Füßen durch die Stadt zu laufen. Plötzlich macht man die Welt zu seinem Haus, die Grenze zwischen drinnen und dort draussen verschwindet. Ausserdem ändert man mit einem Schlag die Art, wie man mit dem Fuß aufsetzt. Das Entscheidende daran aber war, dass ich, als ich zuhause ankam, keine Schmerzen mehr hatte und seitdem ich nur noch barfuss oder mit „Minimalschuhen“ – das sind bessere Stoffetuis für die Füße, die lediglich die Unterseite vor scharfen, heißen und spitzen Gegenständen schützen – laufe, auch nicht wiederkamen und ich mich besser fühle, als jemals zuvor. Ich bin davon überzeugt, dass der menschliche Fuß an sich ein biomechanisches Meisterwerk ist, das keiner Unterstützung bedarf. Mutter Natur hat da wirklich lange dran rumgetüftelt, wir sollten uns nicht einbilden, hier irgendwas verbessern zu müssen. Und es gibt noch einen Grund: Barfusslaufen ist – verzeihen Sie mir bitte den infantilen Kraftausdruck – einfach scheissgeil.

Es ist in erster Linie also ein gedanklicher Entschlackungsprozess. Alles was man braucht, ist nichts; man befreit sich von der Technik und wirft die Abhängigkeit durch die Industrie über Bord. Darüber hinaus ist es ein Bewusstwerdungsprozess über den eigenen Laufstil und die Haltung. Seitdem ich barfuss laufe, setze ich auf dem Vorderfuß und Mittelfuß auf, statt wie früher mit meinem ganzen Gewicht auf der Ferse zu landen. Das ist ein gutes Gefühl, agiler, federnder, schneller, aufrechter und nach dem Lauf fühle ich mich nicht so zusammengedrückt. Ab und zu versuche ich einige Meter weit noch so zu laufen, wie früher. Der Unterschied ist enorm und ich will gar nicht mehr zurück.

Barfusslaufen war für mich die Lösung und ich hätte nie gedacht, dass sich mit einem Schlag meine Schmerzen lösen lassen. Es hat ein paar Monate gedauert, bis die Muskeln meiner Beine den neuen Belastungen gewachsen waren. Aber jetzt laufe ich schneller und stabiler, als jemals zuvor. Langsam bildet sich eine dicke Hornhaut auf der Fußunterseite. Kieselsteine sind allerdings nach wie vor eine Herausforderung, die ich in Gedanken immer umarme: „Danke, Kieselsteine, dass ihr mir diesen SCHMERZ ZUTEIL WERDEN LÄSST UND ICH DURCH EUCH ERLEBEN DARF, WIE FUCKING ECHT IM AM LEBEN BIN!“ Die erstaunten Gesichter der Leute, wenn einer ganz ohne Schuhe durch die Stadt läuft, sind allerdings alle Schmerzen wert.

Wenn Sie also an oben genannten oder ähnlichen Symptomen leiden, gebe ich Ihnen einen Rat:
Nehmen Sie ihr aufgeblasenes Hightechkunstleder und treten sie es in die Tonne. Es ist die beste Entscheidung ihres Läufer-Lebens.


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