Der 5 Euro Schein ist an jeder Ecke mit Tesafilm abgeklebt. Ich trage diesen Schein seit ein paar Wochen in meinem Geldbeutel mit mir herum, ohne ihn ernsthaft loswerden zu wollen. Stehe ich irgendwo an der Kasse, durchwühle ich mein Portemonnaie für das nötige Kleingeld, dann führt das zu einer regelmäßigen Verzögerung und murrenden Menschen hinter mir in der Schlange. Das tut mir leid, aber ich kann nicht anders. Sobald ich diesen abgeklebten Schein in den Fingern halte erzählt er mir eine Geschichte. Warum die Klebeecken? Das ist wie eine Art Flüsterpost, die von Geldbeutel zu Geldbeutel wandert.
Über das Motiv der Abklebeaktion lässt sich schön spekulieren. Vielleicht wurde eine Windeltorte damit dekoriert, es geht um ein neues Leben, den Geruch von Hautcreme, um glückliche Menschen; selbstgestrickte Söckchen und die Erleichterung, von dem Geld Schnabeltasse, Hygienetücher und das ganze nötige Kinderbrimborium kaufen zu können.
Oder hat jemand sein Fenster gegen die brennende Junisonne in einem Anflug total dekadenter Langeweile mit 5 Euro Scheinen abgeklebt? Ein Mann der einfach nur dasitzt, in seiner Mansardenwohnung, in Unterhosen und bald genervt ist vom Kunstleder des Sofas, das langsam mit der Haut seines Rückens verschmilzt. Seinen schwitzigen Überdruss über diese äußerst unangenehmen Situation bekämpft er mit eisigem Cuba Libre, einem Berg Kokain und einem mit 5 Euro Scheinen abgedämpften Dachschrägefenster. Ziemlich zufrieden mit seiner Arbeit, die ihm eineinhalb Stunden eines sonst eher durchschnittlich verlaufenen Nachmittags kostete fällt er zurück auf’s Sofa.
So geht das.
Was könnte es noch mit diesen abgeklebten Ecken auf sich haben?
Frühe Erkenntnisse aus dem Hamsterrad: Die Sympathischen stehen häufig am Ende der Verdienstkette. Von all den Arbeitskollegen, halbseidene Bürogestalten und zurechtgestutzen Anpassungshelden sind mir die Bodenständigen, das Putzpersonal und die Lageristen am Ende der Verdienst- und Verantwortungskette am Liebsten. Grundsätzlich sind hier zwar alle sehr freundlich und hilfsbereit, doch je machtleerer die eigene Position wahrgenommen wird, umso unumwundener berichten die Kollegen authentischer über Dinge aus ihrem Leben. Das macht die Geschichten der Höhergestellten nicht weniger glaubwürdig oder weniger interessant. Das Meiste das sie sagen wirkt bloß mehr verstellt und verkantet; sie haben etwas maskenhaftes und arbeiten gut daran, ihre eigene Statusinszenierung zur Glamourshow zu machen. Alles was sie sagen bleibt auf eine gewisse Art fortwährend suspekt.
Hast du Kollegen in unter- oder übergeordneten Machtpositionen, bei denen das ähnlich ist?
Oftmals betont man mit dem Wort eigentlich nur die halbe Wahrheit. Und wir verwenden es so häufig, dass man annehmen könnte, wir seien verliebt in das Wort. Scheinbar steht die ganze Gesellschaft drauf etwas zu sagen, obwohl wir etwas anderes meinen. Das ist ein Aspekts des Wahnsinns der Normalität, wie ihn Arno Gruen beschreibt. Mit eigentlich werden Absichten und innere Befindlichkeiten verschleiert oder abgeschwächt.
„Eigentlich finde ich dein Kleid schön.“
„Eigentlich steht dir die Frisur.“
„Eigentlich wollte ich das hier noch schnell fertig machen.“
„Eigentlich geht es mir gut.“
Achtet bei euch und eurem Umfeld darauf, wie häufig und in welchem Zusammenhang eigentlich gesagt wird.
Bei welcher Gelegenheit ist dir zuletzt aufgefallen, dass jemand eigentlich etwas anderes sagen wollte? Was könnten seine Motive gewesen sein?
Machen wir uns nichts vor: Einige der größten Katastrophen der Menschheitsgeschichte und kapitale Fehler begannen damit, dass der Mensch dachte, dass er dachte. Nehmen wir Kolumbus (“Ich dachte, das wäre Indien.”), Napoleon (“Ich dachte, Russland wäre im Winter nicht soo kalt.”) oder Oppenheimer (“Ich dachte, Kernspaltung sei eine tolle Sache.”)
Wenn der Mensch denkt geht das ziemlich oft in die Hose.
Fallen dir noch Situationen aus der Geschichte der Menschheit ein, die gut überlegt schienen, letztenendes aber doch ein ziemlicher Griff in’s Klo waren?
„Darüber hinaus war ich ein fühlendes Wesen, ein denkendes Tier auf diesem schönen Planeten, und das allein ist schon ein gewaltiges Privileg und Abenteuer.“
— Oliver Sacks
dat stimmt. ps: ich glaub du hast es richtig geschrieben, duden sagt auch nichts wirklich definitives, aber ich bin bei „etwas maskenhaftes“ hängen geblieben – also, ob man es nicht groß schreibt 😉
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Olli Barrenbrügge
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Sarah Blacky
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