„Einer der fundamentalsten Irrtümer besteht darin, dass die Universität den Studenten auf’s Leben vorbereiten, alias, es ihm erleichtern soll, bevor er es noch betreten hat. Die Aufgabe einer Universität aber besteht keineswegs darin, möglichst viel tüchtige Theologen, Mediziner, „Philosophen“ und Juristen heranzubilden (wie Kaiser Josef II., der die Kolleg-Hefte zensurieren ließ, vermeint hat): sondern alle diese ordinären Kerle derart nicht bloß mit Kenntnissen, sondern mit vorweggenommener Erkenntnis zu beschweren, dass nur die Allertauglichsten so was überleben können, davonkommen, und den vorausgeschossenen Pfeil einmal toto corpore einzuholen vermögen. Die anderen aber sind dann an der Alma mater lebensunfähig geworden, an ihren Kenntnissen picken geblieben, an geistiger Stuhlverstopfung gestorben: hole sie der Teufel. Die einzige Aufgabe einer Universität kann heute sein, den Leuten jeden Zugang in’s praktische Leben derart zu verengen, dass keiner durchrutscht, der nicht mit allen Wassern gewaschen ist. Anders: es ist genau die Sache der Universität, jede Halbbildung zu bekämpfen, und das Gesindel auf die Fachschulen – welche für’s Leben (o weh!) vorbereiten – abzudrängen. Neuestens kann ja die Geltungssucht auch dort ihr Genital mit einem „Doktorhut“ bedecken, sei’s einem der Handelskunde oder Viecharzterei.“
Heimito von Doderer: Universitäten (1955). In: Repertorium. Ein Begreifbuch von höheren und niederen Lebens-Sachen. Hrsg. von Dietrich Weber. München 1969. S 255 f.